Kurzfassung: Thema Lärm Kapitel 7 - S. 55 - 59
http://www.umweltrat.de/02gutach/downlo02/umweltg/UG_2004_kf.pdf
Langfassung unter: Kapitel 7 - S. 471 - 505
http://www.umweltrat.de/02gutach/downlo02/umweltg/UG_2004_lf.pdf
7 Lärmschutz
In den letzten zwei Jahrzehnten hat die Lärmwirkungsforschung eine bemerkenswerte Breite und Tiefe erlangt.
Allerdings bleiben noch wichtige Fragen im komplexen Ursachen-Wirkungsgefüge lärmbedingter (Gesundheits-)
Beeinträchtigungen ungeklärt. Es sind aber erneut wichtige bisherige Befunde der Lärmwirkungsforschung bestätigt worden:
– Es kann kein ernsthafter Zweifel mehr daran bestehen, dass Störungen des nächtlichen Schlafens in besonderer Weise
geeignet sind, die Gesundheit, aber auch die gesundheitsbezogene Lebensqualität zu beeinträchtigen.
– Für die Bewertung von Lärmbelastungssituationen kommt neben dem äquivalenten Dauerschallpegel der
Häufigkeit, Dauer und Lautstärke einzelner Schallereignisse eine wesentliche Bedeutung zu.
– Die Ergebnisse der Lärmwirkungsforschung reichen – bei allem weiteren Forschungsbedarf – völlig aus,
um anspruchsvolle Ziele der europäischen und deutschen Lärmschutzpolitik zu rechtfertigen.
Allerdings bedarf die Fixierung von Lärmqualitäts- und Lärmhandlungszielen politischer Entscheidungen.
Ziel- und Grenzwerte lassen sich wissenschaftlich nicht definitiv bestimmen. Auf der Grundlage
der Erträge der Wirkungsforschung hält der Umweltrat an seinen früheren Vorschlägen fest
(s. SRU, 1999, Tz. 493 ff.): Das Umwelthandlungsziel der Bundesregierung von 65 dB(A) Außenpegel
bei Tag kann nur ein Nahziel für den vorbeugenden Gesundheitsschutz und den Schutz gegen erhebliche
Belästigungen darstellen. Es muss durch mittelfristige Ziele – 62 dB(A) als Präventionswert und
55 dB(A) als Vorsorgezielwert – ergänzt werden. Für die Nachtzeit sind kurzfristig ein Außenwert
von 55 dB(A), mittelfristig ein Wert von 52 dB(A) und langfristig ein Vorsorgezielwert von 45 dB(A)
anzustreben. Dabei führt ein Außenpegel von 45 dB(A) bei gekipptem Fenster zu einem Pegel von circa 30 dB(A) am Ohr des Schläfers.
Vordringliche Aufgabe der Lärmschutzpolitik ist die Reduktion des Verkehrslärms, insbesondere des
Straßenverkehrslärms. Ohne eine energische Politik in diesem Bereich sind relevante Verbesserungen
der Lärmbelastungssituation der Bevölkerung nicht erreichbar. Denn die anderen Lärmquellen, auch der
Industrieanlagen, sind gegenüber dem Verkehr deutlich nachrangig. Der Umweltrat empfiehlt daher:
– Im Verkehrswegeplanungsrecht sind wesentliche Korrekturen erforderlich. Insbesondere ist die 16.
BImSchV zu novellieren, die hinsichtlich des Lärmschutzes allein und damit gänzlich unzureichend
auf den Lärm des jeweils zu errichtenden Verkehrsweges abstellt. Eine angemessene akzeptorbezogene
Betrachtungsweise muss sowohl andere vorfindliche Straßen und Schienenwege als auch sonstige
Lärmquellen wie Flugverkehr und Anlagen berücksichtigen. Nur eine solche gesamthafte Betrachtung
ermöglicht einen zureichenden Schutz der Bevölkerung. Mit der geltenden, Lärmquellen extrem separierenden
Betrachtungsweise schafft man sehenden Auges die Sanierungsfälle von morgen.
– Für eine erfolgreiche kommunale Gesamtverkehrsplanung sollte ein adäquater rechtlicher
Rahmen geschaffen werden. Die Instrumentarien der Bauleitplanung und des Straßen- sowie
Straßenverkehrsrechts reichen dafür ersichtlich nicht aus. Das zeigen auch die informalen
Verkehrsplanungen der Gemeinden, die von sehr unterschiedlicher Problemlösungskapazität sind.
Die Gemeinden sollten verpflichtet und befähigt werden, die Lärmauswirkungen
verkehrserzeugender Planungen und Projekte systematisch zu berücksichtigen und zu bewältigen.
– Das bestehende Recht zum Schutz vor Fluglärm ist dringend novellierungsbedürftig,
um das Schutzniveau für die Flughafenanrainer dem Stand der Lärmwirkungsforschung
anzupassen und die erhebliche Rechtsunsicherheit für die Betroffenen zu verringern.
Das seit 1971 unverändert geltende Fluglärmschutzgesetz bedarf unverzüglich einer
entschiedenen Anpassung an den Stand der Lärmwirkungsforschung. Der im Jahr 2001 gescheiterte
BMU-Entwurf mit abgesenkten Grenzwerten für die Lärmschutzzonen - 65/60 dB(A) - und der
Einführung einer Nachtschutzzone (Grenzwert 50 dB(A), Maximalpegel 55 dB(A)) ist ein
vertretbarer Kompromiss, der immerhin entgegen den Lärmschutzzielen der Bundesregierung die
Errichtung von Wohnungsbauvorhaben in der Schutzzone 1 mit über 65 dB(A) Außenpegel tags
gestatten würde. Außerdem erfordert die Schutzvorschrift des § 9 Abs. 2 Luftverkehrsgesetz
zugunsten der Flughafenanrainer seit 44 Jahren eine Konkretisierung durch ein
untergesetzliches Lärmregelwerk. Durch den Erlass einer zeitgemäßen Fluglärmschutzverordnung
sollte der derzeitige Zustand der Rechtsunsicherheit, den die Rechtsprechung trotz sehr
respektabler Bemühungen (s. zuletzt BVerwGE 107, 313) naturgemäß nur ungenügend
ausgleichen kann, schnell beendet werden.
Angesichts der dominanten Rolle des Verkehrslärms würden die angeführten sektoralen
Verbesserungen in diesen Bereichen eine deutliche Reduktion der Lärmbelastung der
Bevölkerung mit sich bringen. Bedenkt man allerdings, dass große Teile der Bevölkerung
mehreren Lärmquellen ausgesetzt sind, so bleibt es eine dringliche Aufgabe,
entsprechend der im Immissionsschutzrecht verankerten akzeptorbezogenen Betrachtungsweise
auf dem Weg zu einer gebotenen Gesamtlärmbetrachtung voranzuschreiten. Der Umweltrat
schlägt dafür folgende Differenzierung vor:
– Der Lärm gleichartiger Quellen ist stets und zwingend summativ zu bewerten. Daher
darf - entgegen der 16. BImSchV - ein geplanter Verkehrsweg nicht ohne Berücksichtigung
des vorhandenen, ebenfalls einwirkenden Straßenverkehrslärms (so genannte Vorbelastung) bewertet werden.
– Bei Lärmquellen unterschiedlicher Art - zum Beispiel
Straßenverkehrslärm und Fluglärm - ist eine qualitative akzeptor- beziehungsweise
schutzgutbezogene Betrachtungsweise geboten. Dabei ist insbesondere zu
berücksichtigen, dass unterschiedliche Belastungen "kumulieren" können, sodass
lärmfreie Intervalle durch andere Lärmquellen ausgefüllt werden.
Im Übrigen müssen die disziplinären Grenzen zwischen medizinischer,
psychologischer und physikalischer Lärmforschung und -bewertung sowie
rechtswissenschaftliche Zumutbarkeitsbestimmungen stärker überwunden werden,
um die erforderliche Beurteilungssicherheit gewinnen zu können.
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