Prof. Dr. Jürgen Blume, Kirchenmusiker der Johannesgemeinde Offenbach, Professor für Musiktheorie an der Universität Mainz, Dekan des Fachbereichs Musik
Meine Damen und Herren,
lassen Sie mich von Anfang an klar stellen, dass ich nicht gegen das Fliegen bin, kein Feind der Technik und offen für alles Neue. Es gibt kein Thema, über das man nicht nachdenken sollte - und zwar ohne Vorurteile. Aber es müssen alle Aspekte gegeneinander abgewogen werden. Technischer Fortschritt ist wünschenswert, wo er den Menschen hilfreich ist, muss aber in Frage gestellt werden, wo er Menschen schadet. Darum - und nur darum - geht es!
Ich selbst bin im Süden Offenbachs - etwa 1 km von hier entfernt - aufgewachsen und war als Kind fasziniert von den Propellermaschinen, die zum Greifen nah über unser Haus flogen; die flogen allerdings in gehörigem zeitlichen Abstand. Wenn ich heute in mein Elternhaus gehe und ein Flugzeug nach dem anderen über das Haus fliegt, macht mich das nervös, weil die Flugdichte so zugenommen hat, dass man, wenn ein Flugzeug noch nicht dem Blick entschwunden ist, bereits das nächste sieht und hört.
Inzwischen herrscht auch in Rumpenheim, wo ich seit vielen Jahren wohne, ununterbrochen Flugverkehr, nicht so laut wie im Süden Offenbachs oder in Mühlheim, aber es gibt einen ständigen Geräuschpegel. Am Freitag war ein permanenter Landeanflug im Süden Rumpenheims zu beobachten, nachmittags im Norden Rumpenheims in größerer Höhe abfliegender Flugverkehr. Und auch heute, am Sonntagmorgen wurde ich vor 6 Uhr aufgeweckt, weil ich bereits die Flugzeuge hörte.
Ausgeschlossen ist es, in der Region Ketteler-Krankenhaus, Rosenhöhe, Lauterborngebiet bis Stadtkrankenhaus bei geöffnetem Fenster oder im Freien, was ja heute infolge mobiler Telefone möglich ist, ein Telefongespräch zu führen. Man muss das Gespräch unterbrechen, sobald das Flugzeug über einem ist. Das macht einen besonders nervös, vor allem wenn es sich um wichtige Gespräche handelt.
Jeglicher Lärm ist destruktiv, der Fluglärm in besonderer Weise. Er führt bei Menschen, die in der Einflugschneise wohnen, zu Schlafstörungen, vor allem wenn sie bei geöffnetem Fenster schlafen, was ja möglich sein sollte. Fluglärm vermindert wie jeder Lärm die Konzentrationsfähigkeit, was besonders stört, wenn schwierige Probleme oder kreative Aufgaben zu lösen sind.
Schüler werden beim Lernen abgelenkt, wenn sie vom Fluglärm belästigt werden.
Statistiken verzeichnen die Zunahme von Krankheitstagen bei Arbeiten unter Lärmbelästigung.
Lassen Sie mich aber vor allem aus der Sicht des Musik- und Kultur-Engagierten sprechen. Als ausübender Musiker, Komponist und Dekan des Fachbereichs Musik der Mainzer Universität kann ich Ihnen zahlreiche Beispiele geben, die die Verstärkung des Fluglärms als verantwortungslos erscheinen lassen:
In der Mainzer Universität hängt in jedem Zimmer ein Hinweis, dass Musizieren bei geöffnetem Fenster untersagt ist, weil man weiß, dass derjenige, der außerhalb des Gebäudes die Klänge hört, abgelenkt und damit möglicherweise gestört wird. Wenn das schon bei unfreiwillig gehörter Musik von Bach, Mozart oder Beethoven so ist, um wie viel aufdringlicher und störender ist dann der diffuse, aber laute Fluglärm. Das Hinterlistige am Fluglärm ist dabei, dass er oft nur unterschwellig wahrgenommen wird und der Betroffene am Ende nicht eindeutig weiß, warum er gereizt, nervös oder unkonzentriert ist, Magenbeschwerden oder Bluthochdruck hat. Manche Menschen, die dem Lärm ständig ausgesetzt sind, behaupten sogar, dass sie ihn nicht mehr hören. - Ist das zu verantworten, dass die Sinne der Menschen so abgestumpft werden? Wahrscheinlich machen sie sich sogar etwas vor, und dieser Selbstschutz ist letztlich wirkungslos.
Ich bin im Augenblick mit Kollegen an der Konzeption eines Neubaus für die Musikhochschulausbildung in Mainz beschäftigt. Wie hoch sind da mit Recht die Schalldämmungsauflagen! Es darf nicht das geringste Geräusch durch die Wände oder Türen eines Raums dringen, da dieses den im Nebenraum Arbeitenden unweigerlich ablenken würde. Vor allem, wenn man kreativ tätig ist, komponieren oder gestalten will, muss der Kopf frei für eigene Klangvorstellungen sein. Gleiches gilt für die meisten Schriftsteller, Journalisten und bildenden Künstler. Warum werden also mit Recht auf der einen Seite immer strengere Auflagen gemacht, um Lärmbelästigung am Arbeitsplatz zu verhindern, andererseits aber beim Fluglärm die Mobilität und der Wirtschaftsfaktor über die menschliche Gesundheit, vor allem über die psychische Hygiene gestellt?
In einer Offenbacher Kirche - am schlimmsten davon betroffen ist die Markuskirche in der Nähe des Ketteler-Krankenhauses - in einer Offenbacher Kirche also ein Konzert störungsfrei durchzuführen oder gar eine Rundfunk- oder CD-Aufnahme am Stück ohne Fluglärm zu machen, ist, wie jeder weiß, der damit befasst war, nicht möglich. Das hat auch kürzlich das Filmteam für die Aufnahmen eines Filmes der Reihe Polizeiruf 110 erfahren müssen, wie Sie der Presse entnehmen konnten.
Als Kirchenmusiker der Johanneskirche und als Mitglied des Fördervereins PraeLudium, Musik im Zentrum Offenbachs, geht es mir wie vielen engagierten Offenbachern - darum, etwas zur steigenden Lebensqualität beizutragen. Die Menschen sollen sich hier wohlfühlen und sie tun es auch immer mehr. Gerade gestern und vorgestern hat in Rumpenheim die Aktion OPEN HOF stattgefunden. Tausende haben die zahlreichen Veranstaltungen besucht, sind durch die Strassen gegangen und miteinander ins Gespräch gekommen. Das ist Lebensqualität! Sie darf nicht von oben - und das meine ich in der Doppeldeutigkeit des Begriffs - gestört werden!
Die Innenstadt hat sich beständig verschönert und lädt zum Verweilen ein. Der Fluglärm wirkt sich demgegenüber kontraproduktiv aus. Die Lebensqualität wird schon jetzt durch die Verkürzung des Nachtflugverbots auf 23 bis 5 Uhr und erst recht durch den geplanten Flughafenausbau wieder aufs Spiel gesetzt. Der kulturelle Förderverein PraeLudium hat am 23. Mai einen Orgelrundgang durchgeführt und in drei Kirchen um 19, 20 und 21 Uhr Konzerte gegeben. Den Abschluss bildete um 22 Uhr die Vorführung von Renaissancetänzen zu Lautenmusik im Skulpturengarten im Dreieichpark, also nahe der Stadtgrenze zu Frankfurt. Während dieses knapp einstündigen Konzertes, also zwischen 22 und 23.00 Uhr, flogen drei Flugzeuge über den Park und verhinderten, dass man die sogar dezent verstärkten Töne der Laute hören konnte. Das hat mich dermaßen verärgert, weil es mehr als ein Symbol für ein Horrorszenario war. Wir können uns in Offenbach - und wenn die neue Landebahn käme, in ganz Offenbach!!! - nicht einmal mehr im Freien in Zimmerlautstärke unterhalten. Schweigen oder Schreien ist angesagt! Und da sollte jemand bestreiten, dass Fluglärm krank macht?
Eine lebens- und liebenswerte Stadt verliert durch die Zunahme des Fluglärms ihre Lebensqualität. Als kreativ tätiger Musiker appelliere ich an die Verantwortlichen, die destruktive Wirkung des Fluglärms ernst zu nehmen. Auch wenn der Flughafen Frankfurt der größte Arbeitgeber der Region ist, sollte man sich nicht darüber hinwegtäuschen lassen, dass auch bei einer Steigerung der Zahl der Flugbewegungen die Tendenz zu immer mehr Rationalisierung niemals zu der geäußerten Zunahme an Arbeitsplätzen führt, zumal auch jetzt schon ständig Personal reduziert wird.
Da ich nicht nur Warnungen vor Fehlentwicklungen aussprechen möchte, frage ich mich, ob wirklich alle Flüge schon jetzt zu rechtfertigen sind.
- Brauchen wir Äpfel aus Neuseeland, Kaktusfeigen aus Brasilien oder Litschi aus Südafrika, wenn wir Obst aus eigenen Anbaugebieten auftischen können. Die Fragen mögen einigen naiv erscheinen. Aber ist uns dieser Import wirklich wichtiger als die Gesundheit der Menschen?
- Brauchen wir so viele Inlandflüge wie bisher? Unter Berücksichtigung des Ausbaus der ICE-Strecken muss der Inlandsflugverkehr weiter reduziert werden!
- Muss der Rhein-Main-Flughafen, der aus Gründen langfristiger Fehlplanung in einem Ballungsgebiet liegt, ständig expandieren? Ist nur Erweiterung Fortschritt? Als Frachtflughafen und Passagierflughafen - ich denke vor allem an Charterflüge - muss der Flughafen Hahn verstärkt einbezogen werden, wobei dessen Verkehrsanbindung von etwa 1 ¾ Stunden Bahnfahrt ab Frankfurt/Hauptbahnhof sicher noch reduziert werden kann.
- Und wenn der Luftverkehr schon verstärkt werden müsste, warum nimmt man nicht die Forderung unseres Oberbürgermeisters Gerhard Grandke nach Demokratisierung des Fluglärms ernst, wie er eine mögliche Lösung griffig formulierte? Die Spitzenpolitiker des Landes leben nicht in der Einflugschneise und haben leicht reden.
Ich appelliere an alle Verantwortlichen: Nehmen Sie den Schutz der körperlichen und psychischen Unversehrtheit der Anwohner rund um den Flughafen ernst! Suchen Sie Alternativen zur Erweiterung um eine neue Startbahn!
Die Imissionsschutzgesetze, an die sich Privatpersonen zu halten haben, müssen zum Schutz dieser Privatpersonen auch für so große Unternehmen wie die Fraport AG gelten. In diesen Gesetzen heißt es u.a.:
- Von 22 bis 6 Uhr sind Betätigungen verboten, welche die Nachtruhe zu stören geeignet sind.
- Geräte, die der Schallerzeugung oder Schallwiedergabe dienen (Musikinstrumente, Tonwiedergabegeräte und ähnliche Geräte) dürfen nur in solcher Lautstärke benutzt werden, dass unbeteiligte Personen nicht erheblich belästigt werden.
- Auf öffentlichen Verkehrsflächen sowie in und auf solchen Anlagen, Verkehrsräumen und Verkehrsmitteln, die der allgemeinen Benutzung dienen, ferner in öffentlichen Badeanstalten ist der Gebrauch dieser Geräte verboten, wenn andere hierdurch belästigt werden können.
- Rasenmäher dürfen an Werktagen in der Zeit von 19 bis 7 Uhr sowie an Sonn- und Feiertagen nicht betrieben werden
Wie sinnvoll! Doch im Falle der Flughafenerweiterung scheint - wie auch die mögliche Rodung des Bannwaldes zeigt - den Großunternehmen alles möglich zu sein, was dem Privatmann untersagt ist!
Wenn man hier oben auf der Rosenhöhe spazieren geht und die Maschinen über einem dröhnen, wenn man die Fenster in den Häusern nicht mehr öffnen kann, sondern nur noch mit Klimaanlage einen Frischluftanteil bekommt, wenn man sich nicht mehr konzentrieren oder entspannen kann, weil der akustische Dauerstress wie eine Keule auf einen einschlägt, sage ich Ihnen, den Planern, als Musiker und Pädagoge, als einer, der sich für Kultur einsetzt, und nicht zuletzt als Bewohner dieser Stadt Offenbach, die mir am Herzen liegt, nehmen Sie die Einwände ernst! Jeglicher Lärm macht krank!
Auch Fluglärm macht krank!
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