Mit RECHT gegen Fluglärm
Antrag für ein
- Nachtflugverbot
- Einschränkung des Flugbetriebs in der Schlafphase der Kinder
- Einschränkung des Flugbetriebs auch tagsüber
beim Hessischen Verkehrsminister durch Matthias Möller-Meinecke im Auftrag von 108 Bürgern aus der Region
Hessisches Ministerium für Wirtschaft,
Verkehr und Landesentwicklung
Postfach 31 29
65021 Wiesbaden 15. Juni 2001
Beschränkung des Fluglärms
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich zeige Ihnen an, daß mir insgesamt 107 Anwohner - Hauseigentümer bzw. ein Mieter, der Antragsteller zu 66 – aus zehn Städten und Gemeinden rund um den Frankfurter Flughafen, darunter eine große Zahl von Kindern Vollmachten zur Geltendmachung der Forderungen nach Beschränkung des von Fluglärms auf ein insbesondere gesundheitsverträgliches Maß einschließlich der Forderung nach einem Nachtflugverbot für den Flughafen Frankfurt am Main erteilt haben (Vollmachten in Anlagenmappe
- 1). Ich beantrage im Namen meiner Mandantschaft:
Der Planfeststellungsbeschluß des Hessischen Ministers für Wirtschaft und Technik vom 23. März 1971 wird im Wege des teilweisen Widerrufs um folgende beschränkende Betriebsregelungen ergänzt:
Für den Betrieb des Flughafens Frankfurt (Main) wird für alle Flugzeuge (mit und ohne Lärmzulassung nach ICAO – Anhang 16, Band I Kapitel 2)
- ein Verbot der Starts und Landungen zwischen 22.00 Uhr und 06.00 Uhr angeordnet. Ausgenommen sind Landungen in Notfällen, Notsituationen oder aufgrund einer Entscheidung der Luftsicherheit bzw. der zuständigen Behörde bei kritischen Situationen bezüglich des Luftraumes (Nachtflugverbot).
- eine Einschränkung der Start und Landungen
- zwischen 20.00 Uhr und 22.00 Uhr in dem erforderlichen Maße angeordnet, daß in den Schlafräumen der minderjährigen Antragsteller ein Mittelungspegel LAeq (3) (innen) von 30 dB(A) bzw. vor dem Schlafraumfenster von Leq (3) 50 dB(A) und ein Spitzenpegel von innen Leq (3) 45 dB(A) bzw. außen Leq (3) 65 dB(A) nicht überschritten wird,
- zwischen 22.00 Uhr und 06.00 Uhr - hilfsweise zum Antrag unter Ziffer 1 - in dem erforderlichen Maße angeordnet, daß in den Schlafräumen aller Antragsteller ein Mittelungspegel LAeq (3) (innen) von 30 dB(A) bzw. vor dem Schlafraumfenster von 50 dB(A) außen und ein Spitzenpegel von innen 45 dB(A) bzw. 65 dB(A) nicht überschritten wird,
- zwischen 06.00 Uhr und 20 Uhr (bzw. 22.00 Uhr) in dem erforderlichen Maße angeordnet, daß in den Wohnräumen der Antragsteller ein Mittelungspegel LAeq (3) (innen) von 35 dB(A) bzw. außen 60 dB(A) und ein Spitzenpegel von innen 40 dB(A) bzw. außen 65 dB(A) nicht überschritten wird.
Begründung:
I. Sachverhalt
Die Antragsteller begehren eine Ergänzung des Planfeststellungsbeschlusses zum Bau und Betrieb des Flughafens Frankfurt vom 23. März 1971 um Nebenbestimmungen zum Schutz ihrer Gesundheit, ihrer körperlichen Unversehrtheit (Art. 2 GG) und zur Wahrung der Wohnnutzung ihres Grundeigentums (Art. 14 GG).
Der im Jahr 1936 gegründete ehemalige "Flug- und Luftschiffhafen Rhein-Main" hat in den vergangenen Jahren eine stürmische Expansion sowohl des Ausbaues seiner auch flugseitigen Infrastruktur als auch seiner Verkehrszahlen betrieben. Die 1947 gegründete "Verkehrsaktiengesellschaft Rhein-Main" nahm im Jahr 1949 das parallele Start- und Landebahnsystem in Betrieb. Die Verlängerung dieser in Ost-West-Richtung verlaufenden beiden parallelen Bahnen wurde von ihrer Rechtsnachfolgerin, der Flughafen Frankfurt Aktiengesellschaft, Ende der sechziger Jahre betrieben. Der Hessische Minister für Wirtschaft und Verkehr hat mit seinem Erlass vom 23.08.1966 seiner früher erteilten Genehmigungen zur Anlage und zum Betrieb des Flughafens Frankfurt am Main gemäß § 6 Abs. 4 des Luftverkehrsgesetzes (LuftVG in der Fassung vom 22.10.1965) geändert; die neue Genehmigung beinhaltet die Verlängerung der Start- und Landebahnen Nord und Süd und die Neuanlage einer Startbahn 18 West sowie deren Betrieb für Starts in Richtung Süd. Zeitlich anschließend wurde das luftverkehrsrechtliche Planfeststellungsverfahren abgeschlossen. Das zuständige Landesministerium erließ unter dem 26. März 1968 erstmals einen Planfeststellungsbeschluß, die die Verlängerung der vorhandenen Parallelbahnen in Ost-West-Richtung regelte. Dieser Planfeststellungsbeschluß wurde durch den Hessischen Verwaltungsgerichtshof aufgehoben. Der letzte Planfeststellungsbeschluß vom 23. März 1971 betreffend den Ausbau des Flughafens Frankfurt a. M. des Hessischen Ministers für Wirtschaft und Technik zielt mit der Baugenehmigung für eine neue Startbahn ("18 West") auf eine Verbesserung der Fluglärmimmissionen des Flughafenbetriebs indem er feststellt: "Die westlich des Flughafens liegenden besiedelten Gebiete werden von den vorherrschend in dieser Richtung erfolgenden Starts entlastet." (PFB S. 10) Der Planfeststellungsbeschluß 1971 prognostiziert eine Steigerung
-
der "Zahl der möglichen Flugbewegungen unter Instrumentenflugregeln in den Spitzenzeiten des Verkehrs" von 1971 "bestenfalls" 40 je Stunde auf 70 Flugbewegungen" je Stunde (PFB S. 10),
der Fluggastzahlen für das Jahr 1980 auf "30,7 Millionen"/Jahr,
des Luftfrachtaufkommens für das Jahr 1980 auf "3 Millionen Tonnen" und
der Anteile des Flughafens am bundesrepublikanischen Luftverkehr dahin, daß die Anteile (29,6 % Passagiere ohne Transit, 62,9 % Luftfracht ohne Transit, 55,3 % Luftpost) "leicht ansteigen" (PFB S. 5 f.).
Zum Fluglärm verfügt der bestandskräftige Beschluß:
"Der Flughafenunternehmer soll darauf hinwirken, dass bei der Festlegung der An- und Abflugverfahren unter Berücksichtigung der neuesten Erkenntnisse der Technik dem Ruhebedürfnis der Bevölkerung in der Umgebung des Flughafens so weit wie möglich Rechnung getragen wird." (PFB Auflage 10,S. 3)
Zur Begründung wird u.a. festgestellt:
"...Gesundheitsschäden durch Fluglärm sind unter den im medizinischen Gutachten aufgestellten Voraussetzungen nicht zu erwarten ... Insgesamt gesehen ergibt der Ausbau des Flughafens eine Verbesserung der Lärmsituation..." (PFB S. 19).
Dieser Planfeststellungsbeschluß war Gegenstand gerichtlicher Überprüfung u.a. des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. März 1974 (BVerwG IV C 42/73) und des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes zuletzt vom 10. September 1976 und vom 21. Oktober 1980.
Die luftverkehrsrechtliche Genehmigung vom 23. August 1966 wurde im Jahr 1977 ohne Beteiligung der Antragsteller erweitert (Nachrichten für Luftfahrer Nr. 86/77).
Die Nachtflugbeschränkungen vom 30. November 1971 für einzelne Landungen wurde am 30. Juli 1999 modifiziert. Seit dem letzten Planfeststellungsbeschluß aus dem Jahr 1971 wurden die gesamte luftseitige Infrastruktur des Flughafens zur Bewältigung wesentlich höherer Passagier- und Frachtzahlen ausgebaut. Dazu wurde jeweils kein neues luftverkehrsrechtliches Planfeststellungs- oder Genehmigungsverfahren durchgeführt, sondern die Genehmigungen in einer Vielzahl von Einzelbaugenehmigungen ohne Beteiligung der Antragsteller erteilt. So wurde im Jahr 1972 ein neues Terminal und der unterirdische Flughafenbahnhof eröffnet. Im Jahr 1994 kam das Terminal 2 und eine Verbindung zum bestehenden Terminal mit der Hochbahn Sky Line hinzu. Zwei Jahre später zog die FAG-Frachtabfertigung in die auf dem Gelände der ehemaligen US Air Base gelegene neugebaute CargoCity Süd um (1996). Im Jahr 1997 wurde der neue Flugsteig D zwischen den beiden Terminals 1 und 2 in Betrieb genommen. Im Jahr 1998 wurde das Richtfest für den neuen ICE-Bahnhof an der Autobahn A3 gefeiert. Zwischenzeitlich waren auch die Flugbetriebsflächen, einschließlich der Vorfelder, erheblich erweitert worden.
Die Folge dieser baulichen Expansion ist eine außergewöhnliche Steigerung der Flugbewegungen, der Passagierzahlen und des Frachtumschlages. So haben sich die im Planfeststellungsbeschluß aus dem Jahre 1971 prognostizierte Zahl der mit der Ausbauplanung angestrebten 70 Flugbewegungen unter Instrumentenflugbedingungen in der Spitzenstunde auf real 97 Flugbewegungen gesteigert. Die Prognose des Planfeststellungsbeschlusses wird damit in der Praxis des Jahres 2000 um 38 % übertroffen. Die im Planfeststellungsbeschluß auf 30 Millionen progostizierte Zahl der Passagiere wird im Jahr 2000 um 58 % übertroffen.
FRA |
1969 |
Prognose 1980 |
2000 |
Flugbewegungen
|
|
|
458.731
|
PAX
|
8 Mio
|
30,7 Mio
|
49 Mio
|
Luftfracht
|
0,3 Mio to
|
3 Mio to
|
1,5 Mio to
|
Flugbewegung/h
|
40
|
70
|
97
|
Dazu im Detail: Im Jahr 2000 zählte die FAG insgesamt 458.731 Starts und Landungen. Erstmals lag die durchschnittliche Anzahl der Flugbewegungen pro Tag bei 1.253. Spitzentag war der 29. September 2000 mit 1.418 Flugbewegungen. In der Spitzenstunde wurden erstmals 97 Flugbewegungen erreicht.
Mit einem Passagieraufkommen von 49.369.429 wurde im Jahr 2000 ein neuer Höchststand erreicht. Gegenüber dem Vorjahr bedeutete dies eine Steigerung von 7,6 Prozent. Spitzenmonat war der September mit 4.775.471, Spitzentag der 29. September mit 182.259 Fluggästen. Das Frachtaufkommen des Jahres 2000 betrug 1.589.428 Tonnen; gegenüber dem Vorjahr bedeutete dies eine Steigerung von 11,3 Prozent.
Zur Nachtzeit zwischen 22.00 Uhr und 06.00 Uhr dürfen am Flughafen Frankfurt nur die laut internationaler ICAO-Klassifikation verhältnismäßig leiseren "Kapitel-3"-Flugzeuge eingeschränkt landen, jedoch uneingeschränkt starten. Die lauteren "Kapitel-2"-Flugzeuge dürfen zwischen 20:00 und 06:00 Uhr weder starten noch landen. Die auf dem Flughafen Frankfurt am Main abgewickelten Nachtflüge haben sich allein zwischen dem Jahr 1985 und dem Jahr 2000 um den Faktor fünf gesteigert:
Jahr
|
Nachtflüge
|
1985
|
10.905
|
1990
|
25.500
|
1995
|
27.959
|
1999
|
43.624
|
2000 (geschätzt)
|
48.000
|
2001 (geschätzt)
|
53.000
|
Im Rahmen der Amtsermitlung in dem hiermit eingeleiteten Verwaltungsverfahren bleibt die Zahl der Nachtflüge im Zeitpunkt der letzten Planfeststellung, dem Jahr 1971, und der Folgejahre aufzuklären.
Diese Ausweitung des Flugbetriebs bewirkt in den unter den An- und Abflugschneisen des Frankfurter Flughafens liegenden Außen- und Innenwohnbereichen der Antragsteller Lärmimmissionen durch Einzel- und Dauerschallpegel, die zu erheblichen Belästigungen aber auch – auf längere Sicht – auch zu Gesundheitsbeeinträchtigungen bis hin zu Herz-Kreislaufschädigungen für die antragstellenden Eigentümer des selbstgenutzten Wohneigentums und ihre mitwohnenden Familienangehörigen führen (werden).
Schallimmissionen
Die Lärmsachverständigen Dres. Kühner und Knauß haben im Auftrag der Stadt Flörsheim am Main, in welcher ein großer Teil der Antragsteller wohnen, den Fluglärm auf Grundlage der von der Fraport AG zur Verfügung gestellten Flugdaten für die sechs verkehrsreichsten Monate des Jahres 1999 berechnet und gemessen.
Die Messungen wurden an fünf Punkten im Stadtgebiet von Flörsheim durchgeführt:
Meßpunkt Nummer
|
Ort
|
repräsentativ für
|
MP 2
|
Im Stadtteil Wicker an der KITA in der Odenwaldstraße
|
Wohngebiete in Wicker
|
MP 3
|
Im Stadtteil Weilbach an der Grundschule, nördlich Schulstraße
|
Wohngebiete in Weilbach
|
MP 4
|
Kernstadt am Neuen Friedhof im Riethweg
|
Wohngebiete in der nordöstlichen Kernstadt
|
MP 5
|
Kernstadt Bauhof an der Böttgerstraße
|
Stadtteil Keramag
|
MP 6
|
Kernstadt am Stadtgarten an der Artelbrückstraße
|
Wohngebiete in der südlichen Kernstadt
|
Die im Jahr 2000 durchgeführten Lärmmessungen erbrachten folgende Ergebnisse:
- in dB(A)-
|
MP 2
|
MP 3
|
MP 4
|
MP 5
|
MP 6
|
Erläuterung
|
Leq(4),m
|
59,6
|
53,4
|
57,1
|
54,6
|
54,5
|
LrFlGesetz
|
Leq(4),10
|
61,1
|
55,6
|
58,6
|
59,6
|
58,1
|
10% lauteste Tage
|
LDIN,t,m
|
63,1
|
56,3
|
60,7
|
56,9
|
57,1
|
LrFlTag, DIN 45643
|
LDIN,t,10
|
64,6
|
57,9
|
62,4
|
61,6
|
60,1
|
10% lauteste Tage
|
LDIN,n,m
|
58,7
|
53,3
|
56,2
|
59,9
|
54,7
|
LrFl, Nacht
|
LDIN,n,10
|
61,4
|
55,9
|
58,4
|
58,1
|
59,1
|
10% lauteste Tage
|
Lmax,t,m
|
79,5
|
69,8
|
76,0
|
70,8
|
69,0
|
Mittl. Maximalpegel tags
|
Lmax,t,10
|
83,4
|
72,4
|
79,1
|
74,4
|
71,9
|
10% lauteste Tage
|
Lmax,n,m
|
74,7
|
67,5
|
70,9
|
71,6
|
69,1
|
Mittl. Maximalpegel nachts
|
Lmax,n,10
|
80,1
|
69,6
|
73,1
|
75,1
|
72,4
|
10% lauteste Nächte
|
Ldn,m
|
61,6
|
55,2
|
59,1
|
55,8
|
56,3
|
Mittl. Tag-Nacht-Pegel
|
Ldn,10
|
62,9
|
56,9
|
60,6
|
60,6
|
59,9
|
10% lauteste Tage
|
Ln,m
|
51,0
|
46,2
|
49,1
|
46,9
|
48,1
|
Nachtpegel
|
Ln,10
|
54,1
|
48,4
|
51,1
|
51,1
|
52,6
|
10% lauteste Nächte
|
NAT70d
|
91,1
|
28,4
|
74,5
|
45,3
|
30,3
|
Number of events >70 dB tagsüber
|
NAT70n
|
3,6
|
1,4
|
5,3
|
3,3
|
3,4
|
Number of events >70 dB nachts
|
% A
|
35
|
28,9
|
37,7
|
22,2
|
37,5
|
Aufweckwahrscheinlichkeit –10 dB
|
% A
|
55
|
44,2
|
59,6
|
66,9
|
109,2
|
10% lauteste Tage
|
% A
|
24,5
|
18,1
|
24,9
|
15,2
|
23,7
|
Aufweckwahrscheinlichkeit –15 dB
|
% A
|
39,1
|
28,9
|
35,9
|
45,3
|
74,1
|
10% lauteste Tage
|
Nd
|
113,9
|
113,8
|
105,4
|
118,6
|
151,5
|
Mittlere Zahl an deutliche wahrnehmbaren Flügen tags
|
Nn
|
11,9
|
12,0
|
14,3
|
7,9
|
15,4
|
Mittlere Zahl an deutliche wahrnehmbaren Flügen nachts
|
Zum Berechnungsverfahren sind zwei Besonderheiten zu beachten. Die zur Berechnung des Fluglärms existierende Anleitung zur Berechnung von Lärmschutzbereichen an zivilen und militärischen Flugplätzen (AzB) nach dem Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm stammt noch aus dem Jahr 1971 (GMBL 1971, 1975); ihre Datenblätter mit den Oktavpegeln, Richtungsfaktoren und Höhen zu den unterschiedlichen Flugzeugklassen sind durch die Inbetriebnahme erheblich leiserer Flugzeuge überholt, weshalb Kühner/Knauß die realitätsnäheren Datenblätter der erst im Entwurf vorliegenden Neufassung der AzB zu Grunde gelegt haben.
Kühner/Knauß berechnen die Beurteilungspegel für den Fluglärm nach zwei unterschiedlichen Halbierungsparametern (q=3 und q=4); dieser Halbierungsparameter gibt bei zeitunabhängigen Pegeln die Pegelerhöhung in dB an, die zu dem gleichen Mittelungspegel führt, wenn die Geräuschdauer halbiert wird. Der Halbierungsparameter q=4 wird von dem Gesetz zum Schutz gegen den Fluglärm und der AzB zu Grunde gelegt. Dagegen legt die für Verkehrsgeräusche maßgebliche 16. Verordnung zum Bundesimmissionsschutzgesetz ebenso wie die Magnetschwebebahnverordnung den Halbierungsparameter q=3 zu Grunde, weshalb allein dieser Parameter die Vergleichbarkeit von Fluglärm mit anderem Verkehrslärm eröffnet. Kühner/Knauß berichten auf Grund Ihrer Erfahrungen mit der Messung von Fluglärm, daß der Halbierungsparameter q=4 bei weniger als 4 Mio. Flugbewegungen/Jahr zu einer deutlichen Privilegierung des Fluglärms führt. Das Umweltbundesamt schlägt als Konsequenz vor (UBA, Fluglärmwirkungen, 2000, Seite 6), unter Aufgabe des derzeitigen Lärmbewertungsverfahrens einen Halbierungsparameter von q=3 und ein Beurteilungsverfahren auf der Basis von Mittelungspegeln für den Tag und für die nacht mit einer Beurteilungszeit von 16 bzw. 8 Stunden einzuführen.
Die Berechnung führte zu folgenden Ergebnissen:
In dB(A)
|
MP 2
|
MP 3
|
MP 4
|
MP 5
|
MP 6
|
Ldn,m
|
62,3
|
57,8
|
62,3
|
56,2
|
59,1
|
Ldn,10
|
62,3
|
58,8
|
63,3
|
56,2
|
59,1
|
Ln,m
|
54,6
|
50,1
|
55,3
|
47
|
50,7
|
Ln,10
|
54,7
|
50,1
|
56,3
|
48
|
54,5
|
Die erkennbaren Abweichungen zwischen Messungen und Berechnungen am Meßpunkt 4 und 5 erklären sich aus der dortigen Störbelastung durch den zusätzlichen Eisenbahnlärm.
Der für eine erhebliche Belästigung im Sinne des § 3 BImSchG maßgebliche Grenzwert des mittleren Tag-Nacht-Pegels und dessselben Pegels für die 10 lautesten Tage von 53 dB(A) wird an allen fünf Meß- und Berechnungspunkten im Stadtgebiet von Flörsheim durch die Fluglärmimmissionen erheblich überschritten; dabei reichen die Überschreitungen am Meßpunkt 2 bis zu 10 dB(A). Der für eine erhebliche Belästigung maßgebliche Grenzwert des Nachtpegels von 43 dB(A) wird gleichfalls an allen Meß- und Berechnungspunkten überschritten; hier reichen die Überschreitungen am Meßpunkt 2 an den 10 % der lautesten Tage sogar das Maß von 11 dB(A).
Die stärksten Belastungen durch Fluglärm gehen in Flörsheim für die Wohngebiete im Stadtteil Wicker und in der Kernstadt zwischen dem Main und der Weilbacher Straße, wobei die anderen Wohngebiete nur geringfügig geringer belastet sind.
Nach den Auswertungen des Sachverständigen Kühner bewirkt die gegebene Fluglärmbelastung bei gekippten Fenster, daß durchschnittlich jeder vierte Antragsteller in Wicker sowie in der Kernstadt von Flörsheim einmal pro Nacht durch einen Überflug aufgeweckt wird; in lauten Nächten wird mindestens jeder Dritte aufgeweckt.
In lauten Nächten werden die Hälfte der mit offenen Fenster Schlafenden einmal durch den Fluglärm aufgeweckt.
Noch deutlicher werden die Schlafstörungen durch den Fluglärm, wenn die mittleren Maximalpegel der nächtlichen Überflüge betrachtet werden; diese liegen nämlich zwischen 67,5 und 74,7 dB(A) und überschreiten den von dem Sachverständigen Kühner aus der TA Lärm abgeleiteten Schwellenwert von 60 dB(A) um bis zu 15 dB(A). Die Lärmspitzen der lautesten Überflüge am Tage liegen – mit Ausnahme der Messung am Bauhof – an allen Meßpunkten über 95 dB(A). Für die zur Schule gehenden oder dort unterrichtenden Antragsteller bzw. für die in Flörsheim an anderen Institutionen oder freiberuflich arbeitenden Antragsteller ist als Folge der häufigen Überflüge ihre Kommunikation durchschnittlich 75 Minuten an jedem Arbeitstag durch Fluglärm gestört. Beim Aufenthalt der Antragsteller in ihren Außenwohnbereichen fehlt die Dämmwirkung gekippter Fenster, so daß sich die Kommunikationsstörungen auf mehr als zwei Stunden am Tag summieren (Kühner, Seite 64).
Die auf der Seite 27 des "Schallimmissionsplanes" von Kühner/ Knauß dargestellten Beurteilungspegel weisen tagsüber für die Wohngebiete in der Kernstadt südwestlich der Hans-Böckler-Straße und in dem Stadtteil Weilbach der Stadt Flörsheim am Main die höchsten Belastungen auf.
Nachts weisen die Gebiete in der Kernstadt nordöstlich der Poststraße und im Stadtteil Wicker die stärksten Belastungen auf.
Fluglärmbelastung an den Wohnorten der anderen Antragsteller
Die Messungen und Berechnungen des Fluglärms durch Kühner/ Knauß für Wohngebiete in Flörsheim sind die ersten den Antragstellern zugänglichen sachverständig ermittelten Fluglärmimmissionen, die nicht von der FAG bzw. Fraport AG Frankfurt Airport Services Worldwide stammen. Nach der eigenen Ermittlung des Flughafenbetreibers überschreiten die Fluglärmbelastungen in der Mehrzahl der anderen Wohnorten das Maß der in Flörsheim ermittelten Belastungen zum Teil um bis zu 10 dB(A); jedenfalls nachts ist es an den Wohnorten aller außerhalb von Flörsheim wohnenden Antragsteller nach Angaben des Flughafenbetreibers Fraport lauter. Tags soll es nur in Kelsterbach und Klein-Gerau leiser sein, wobei die Differenz von –1 bzw. –2 dB(A) nicht hörbar ist.
Ort
|
FAG Messung des Leq (4) DIN 45643 tags 06-22 Uhr
|
FAG Messung des Leq (4) DIN 45643 nachts 22-06 Uhr
|
Flörsheim
|
Basis = 54 dB(A)
|
Basis = 42 dB(A)
|
Büttelborn
|
+/- O dB(A)
|
+ 10 dB(A)
|
Frankfurt Süd
|
+ 3 dB(A)
|
+ 9 dB(A)
|
Kelsterbach
|
- 2 dB(A)
|
+ 5 dB(A)
|
Klein-Gerau
|
- 1 dB(A)
|
+ 8 dB(A)
|
Mörfelden
|
+ 2 dB(A)
|
+ 8 dB(A)
|
Neu Isenburg
|
+ 1 dB(A)
|
+ 6 dB(A)
|
Offenbach-Lauterborn
|
+ 5 dB(A)
|
+ 10 dB(A)
|
Raunheim
|
+ 7 dB(A)
|
+ 10 dB(A)
|
Rüsselsheim Opelbrücke
|
+ 5 dB(A)
|
+ 8 dB(A)
|
Nach der Bewertung des Sachverständigen Kühner überschreiten in den Wohngebieten von Flrösheim-Wicker die Höhe der Überflugpegel, deren Dauer, Frequenzstruktur und Anzahl sowohl am Tage als auch in der Nacht
"das Maß der Unzumutbarkeit" (Kühner, S. 66).
Aus der Auswertung der FAG folgt, daß diese Bewertung auch für die Wohnorte der nicht in Flörsheim wohnenden 61 Antragsteller zutrifft, wobei diese Bewertung für Kelsterbach und Klein Gerau derzeit nur für die Nachtzeit belegbar ist. Die seit letztem Jahr weiter steigenden Luftverkehrszahlen sprechen dafür, daß auch hier tagsüber die Belastung gestiegen ist.
Bauplanungsrechtlich sind die Grundstücke der Antragsteller, soweit sie von den Festsetzungen eines rechtskräftigen Bebauungsplanes überplant sind, als allgemeine bzw. reine Wohngebiete ausgewiesen. Die nicht überplanten Grundstücke der anderen Antragsteller liegen in Gebieten, die vowiegend oder ausschließlich dem Wohnen dienen und die daher den Charakter der in den §§ 3 und 4 BauNVO beschriebenen Gebieten entsprechen.
Die Lärmimmissionen der auf den Flughafen Frankfurt am Main startenden bzw. landenden Luftfahrzeuge bewirken kausal, daß die Antragsteller
- während des Überfluges einer Maschine ihre Kommunikation unterbrechen müssen, weil sie ansonsten durch den Fluglärm übertönt und damit unverständlich wäre;
- abends am Einschlafen gehindert werden;
- nachts durch einzelne Überflugereignisse aus dem Schlaf geweckt werden,
- tagsüber in ihrer Konzentration beim Lesen oder sonstigen Arbeiten erheblich gestört werden und
- unter Erschöpfungsgefühlen, Druckgefühlen, Bluthochdruck und Herz-Kreislaufbeschwerden leiden.
Die aus den Überflügen folgenden Fluglärmbelastungen wurden für die Wohngebiete in Flörsheim im Jahr 2000 von dem Fluglärmsachverständigen Dr. Knauß (deBAKOM Gesellschaft für sensorische Messtechnik, Akustik, Schallschutz Olfaktometrie, Bergstraße 36, 51519 Odenthal) im Gutachten Nr. 20092000/DK-1313 dokumentiert.
Seit dem letzten Jahr hat sich die Zahl der Starts und Landungen auf dem Frankfurter Flughafen insbesondere zur Nachtzeit erneut erheblich erhöht.
Eine Lärmminderung des Flughafenbetriebs kann durch zahlreiche Faktoren beeinflusst werden. Dazu können beispielsweise die Fluggesellschaften durch Abflüge nur auf dem Idealkurs, den Betrieb von umweltverträglicheren Flugzeugen, die Reduzierung von nächtlichen Triebwerksprobeläufen, die Nutzung neuester, geräuscharmer Navigations-technik, die qualifizierte Schulung der Piloten und die intensive Einwirkung auf Flugzeug- und Triebwerkshersteller beitragen. Die Deutsche Flugsicherung GmbH (Offenbach) vermag lärmmindernde An- und Abflugverfahren festzulegen, sie kann modernste Flugführungssysteme einsetzen, das dazu nötige Personal einstellen und lärmmindernder Gesichtspunkte bei der Flugführung berücksichtigen; dies ist Inhalt eines gesonderten Antrages gegenüber der DFS. Jede einzelne dieser Maßnahmen ist derzeit noch nicht ausgeschöpft worden.
Für die Anflüge von Luftfahrzeugen auf den Flughafen Frankfurt am Main von Osten und Westen existiert das lärmmindernde Anflugverfahren continous descend approach, welches der Lufthansa-Pilot Ulrich Westermann in einem Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau vom 21. September 2000 wie folgt beschreibt:
"Die Triebwerke sind in den vergangenen Jahren immer leiser geworden und ihr Anteil am Lärmteppich hat sich deutlich verringert. Dennoch produzieren sie den prozentual bedeutsamsten Anteil. Dieser Motorenlärm ist im Leerlauf gering und nimmt mit steigenden Drehzahlen deutlich zu. Aber auch das Flugzeug selbst (Zelle und Tragflächen) produziert Lärm, indem es die Luft verwirbelt. ... Außerdem kann jeder hören, dass Flugzeuge umso leiser sind, je höher sie fliegen - mit steigendem Abstand zur Lärmquelle wird der Pegel des Schalldrucks geringer. Somit ergeben sich einige flugtechnische Möglichkeiten, Lärm so weit wie möglich zu vermeiden. Das Verfahren das dazu entwickelt wurde, ist auch als "low drag - low power"-Verfahren bekannt geworden. Dies wurde dann noch mit dem "continous descend approach" zu einem lärmmindernden Anflugverfahren (weiter)entwickelt. Bei diesem Verfahren soll der Pilot am optimalen Punkt und in großer Höhe - dort entsteht noch kein messbarer Lärm am Boden - die Triebwerke in Leerlauf bringen und dann bis kurz vor der Landebahn mit geringst möglichen Widerstand - sozusagen im Segelflug - das Flugzeug bis in den Endanflug bringen. Dann (erst) werden - wieder im Idealfall - die Landeklappen und das Fahrwerk ausgefahren. An dieser Stelle wird dann der Gleitweg zur Landebahnschwelle erreicht. Um dem Gleitweg zu folgen, muss der Pilot (erst dann) die Triebwerksleistung erhöhen."
Der sachverständige Zeuge Westermann setzt sich im Weiteren auch mit den Argumenten auseinander, warum die Deutsche Flugsicherung GmbH dieses optimierte Landeanflugverfahren beim Anflug auf den Frankfurter Flughafen nicht praktizieren lässt:
"Im Fall des Flughafens Frankfurt ergibt sich auf Grund des hohen Verkehrsaufkommens die Frage, ob und wie dieses optimale Verfahren eingehalten werden kann. So kommen die Flugzeuge nicht nur aus Norden, sondern auch aus Süden über das Funkfeuer Spessart und müssen zusätzlich aus Osten kommend, nördlich oder südlich des Flughafens in den Anflug geführt werden. Dazu brauchen die Fluglotsen in Frankfurt einen gewissen Spielraum, sowohl um die notwendige Sicherheit zu gewährleisten, aber auch um die geforderte Anflugkapazität zu erreichen. Hier hat sich nun gezeigt, dass vor allem durch bessere Kommunikation zwischen Fluglotsen und Piloten noch Verbesserungspotential besteht. Wichtig ist, dass der Fluglotse in Standardsituationen klar macht, dass das Flugzeug zwar auf die Anflughöhe von 4000 Fuß (circa 1200 Meter über Meeresspiegel) sinken darf, aber nicht muss. Den Piloten muss man nahe legen, dieses Angebot auch entsprechend zu nutzen. Da die Anflüge nicht immer den gleichen Weg nehmen, ist es für den Piloten wichtig, zumindest ungefähre Angaben zu erhalten, welchen Weg der Lotse plant, damit er seinen weiteren Sinkflug entsprechend der verbleibenden Distanz zur Landebahn planen kann. Er hat dann die Möglichkeit höher - also leiser - zu fliegen und den Sinkflug am optimalen Punkt einzuleiten. Da der eigentliche Endanflug erst kurz hinter Hanau beginnt, kann durch ein besseres Anflugprofil durchaus noch Lärm in diesem Bereich verhindert werden. Dies alles setzt natürlich guten Willen bei allen Beteiligten voraus und bedingt einen höheren Koordinierungsaufwand, vor allem bei den Fluglotsen. Hier ist dann die Deutsche Flugsicherungs-GmbH gefordert, dies - falls notwendig auch durch mehr Personal - sicherzustellen." (Frankfurter Rundschau vom 21.09.2000)
II. Rechtslage und Begründung der Anträge
1. Die Anträge sind zulässig.
Die Anträge sind nicht als Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Hessisches Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG), sondern als Antrag nach § 49 HVwVfG auf (teilweisen) Widerruf des Planfeststellungsbeschlusses vom 23. März 1971 zu verstehen. Da nach § 51 Abs. 5 HVwVfG die Vorschriften der §§ 48 f. VwVfG unberührt bleiben, stehen die Rechte aus § 51 und § 49 HVwVfG selbständig nebeneinander. Daher bleibt auch der Anspruch auf Widerruf eines Verwaltungsaktes, der nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen besteht, wenn die Aufrechterhaltung des Erstbescheids schlechthin unerträglich wäre, unberührt.
vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 51, Rdnr. 6 f.; BVerwGE 28, 127; 44, 336; BVerwG DVBl. 1989, 1196
Die Anwendung des § 49 HVwVfG ist nicht aufgrund der Tatsache ausgeschlossen, daß Verfahrensgegenstand hier die begehrte Aufhebung eines Planfeststellungsbeschlusses ist. Zwar hält der Hessische Verwaltungsgerichtshof (HessVGH) - anders als die wohl herrschende Meinung
vgl. die Nachweise bei Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 75, Rdnr. 19
die Norm des § 49 VwVfG auf Planfeststellungsbeschlüsse für nicht anwendbar:
HessVGH, DVBl. 1992, 1446 ff.
Begründet wird dies mit dem Vorrang der Spezialregelungen des Planfeststellungsrechts:
"Soweit aber § 49 HVwVfG zugunsten des Adressaten eines belastenden Verwaltungsaktes einen Anspruch darauf begründet, daß die Behörde eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über die nachträgliche Aufhebung des unanfechtbaren Verwaltungsaktes trifft, ist diese Vorschrift durch die Spezialregelungen des Planfeststellungsrechts, insbesondere durch § 75 Abs. 2 Sätze 1 und 2 HVwVfG, ausgeschlossen mit der Folge, daß sich aus diesen Vorschriften eine gegenüber § 49 Abs. 1 HVwVfG abweichende Regelung i. S. des § 72 HVwVfG ergibt." (Hess VGH, a.a.O., S. 1447; anders die wohl h.M, vgl. BVerwG NVwZ 1998, 281; BVerwGE 91, 17 22; Kopp/Ramsauer, § 75, Rdnr. 19, m.w.N.)
Die Norm des § 72 Abs. 1, 2. Halbsatz HVwVfG, die lediglich die Anwendung des § 51 HVwVfG auf Planfeststellungsbeschlüsse ausdrücklich ausschließt, stelle – so der HessVGH - daher keine konstitutiv eigenständige Regelung, sondern nur einen speziell geregelten Anwendungsfall des § 75 Abs. 2 Satz 1 HVwVfG dar, der Planfeststellungsbeschlüssen eine über die Bestandskraft sonstiger Verwaltungsakte hinausgehende Festigkeit, eine gesteigerte Rechtsbeständigkeit verleihe. Aus dem Ausschluß des § 51 HVwVfG folge erst recht die Unanwendbarkeit des § 49 HVwVfG. (HessVGH. a.a.O., S. 1447)
Ein solcher Vorrang der planfeststellungsrechtlichen Vorschriften über die nachträgliche Anordnung von Schutzvorkehrungen liegt hier aber gerade nicht vor, da einfachgesetzliche Ansprüche auf Planergänzung des Planfeststellungsbeschlusses aus § 75 Abs. Abs. 2 HVwVfG nicht eingreifen. Denn der Planfeststellungsbeschluß vom 23. März 1971 ist vor Inkrafttreten des HVwVfG ergangen. Die Vorschrift des § 75 Abs. 2 HVwVfG ist durch Verwaltungsverfahrensgesetz vom 25. Mai 1976 (BGBl. S. 1253) geltendes Recht geworden. Auf vor Inkraftreten dieses Gesetzes ergangene Planfeststellungsbeschlüsse findet diese Regelung nach bisher einhelliger Ansicht keine Anwendung.
Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 5. Aufl., § 75 Rdnr. 49; Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 75 Rdnr. 19; Wellmann, DÖV 1991, 1018, jeweils unter Bezugnahme auf das Urteil des BVerwG vom 12. 09.1980 - 4 C 74/77 - in NJW 1981, 835 ff. = BVerwGE 61, 1 ff.; zuletzt bestätigt durch BVerwG, NVwZ 2000, 70 f.
Allerdings folgt die fehlende Anwendbarkeit von § 75 Abs. 2 Satz 2 HVwVfG auf vor Inkraftreten des Gesetzes rechtskräftig abgeschlossene Planfeststellungsverfahren nicht aus dem Wortlaut der Regelung; das Verwaltungsverfahrensgesetz enthält auch keine Übergangsregelung, welche die rückwirkende Anwendbarkeit ausschließt. Der Ausschluß der Rückwirkung kann auch nicht unmittelbar auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. September 1980 gestützt werden, denn diese Entscheidung erging zur Anwendbarkeit von § 17 Abs. 6 Satz 2 FStrG 1974 auf "alte" Planfeststellungsbeschlüsse. Das Oberverwaltungsgericht des Landes Schleswig-Holstein (Entscheidung vom 12. Dezember 1996, Az.: - 4 L 20/96-) hält jedoch die in dem Urteil dokumentierte Argumentation des Bundesverwaltungsgerichts auf die in § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG enthaltene Regelung für anwendbar; dem folgt die zitierte Kommentarliteratur. Den Ausschluß der Anwendbarkeit von § 17 Abs. 6 Satz 2 FStrG 1974 auf "alte" Planfeststellungsbeschlüsse hat das Bundesverwaltungsgericht - trotz des die Anwendung nicht ausschließenden Wortlauts der Regelung - wie folgt begründet:
"Für diese Annahme spricht in erster Linie der enge Regelungszusammenhang, in dem die neuen Vorschriften über die nachträgliche Änderung unanfechtbar gewordener Planfeststellungsbeschlüsse mit der gleichzeitigen Neufassung des § 17 Abs. 4 FStrG 1974 über die Ansprüche Betroffener auf Anordnung von Schutzeinrichtungen innerhalb des Planfeststellungsverfahrens stehen. Dieser Regelungszusammenhang entspricht den in den parlamentarischen Beratungen ausdrücklich hervorgehobenen gesetzgeberischen Absichten, wie sie vornehmlich in der Begründung der Gesetzesvorlage durch den Bundestagsausschuß für Verkehr mit dem Hinweis zum Ausdruck gebracht worden sind, "die Änderung des Absatzes 6" hänge "mit der vom Ausschuß beschlossenen Neufassung des § 17 Abs. 4 zusammen" .... Demgemäß bezieht die Gesetz gewordene Fassung des § 17 Abs. 4 Satz 2 FStrG 1974 den für den Anspruch auf Ergänzung eines unanfechtbar gewordenen Planfeststellungsbeschlusses maßgebenden Begriff der "nichtvorhersehbaren Wirkungen" seinem Gegenstand nach unmittelbar auf die "nachteiligen Wirkungen nach Abs. 4" ...."
Da somit auf den vor Erlaß des HVwVfG ergangenen Planfeststellungsbeschluß die planfeststellungsrechtlichen Vorschriften über die nachträgliche Anordnung von Schutzvorkehrungen nach § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG nicht anwendbar sind, fehlt es insoweit an spezielleren Vorschriften, die § 49 HVwVfG hier verdrängen könnten. Daher findet die Vorrangregelung des § 72 Abs. 1, 2. Halbsatz HVwVfG auf vor Inkrafttreten des HVwVfG ergangene Planfeststellungsbeschlüsse keine Anwendung.
2. Der Antrag ist auch begründet, weil die Antragsteller aus der Regelung des § 49 HVwVfG einen Anspruch auf die begehrten Lärmschutzauflagen haben. Der Planfeststellungsbeschluß ist im Wege des teilweisen Widerrufs um diese Auflagen zu ergänzen.
a) Da der Planfeststellungsbeschluß für die Betreiber des Frankfurter Flughafens einen begünstigenden Verwaltungsakt darstellt, ist er nur unter den Voraussetzungen des § 49 Abs. 2 HVwVfG widerrufbar. Die Voraussetzungen dieser Norm liegen vor, da die Planfeststellungsbehörde auf Grund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Planfeststellungsbeschluß nicht zu erlassen; zudem ist ohne den (Teil-)Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet (§ 49 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG).
aa) Bei nachträglicher Änderung der für den Verwaltungsakt - hier den Planfeststellungsbeschluß - maßgeblichen Tatsachen ist ein Widerruf desselben möglich. Bei den Tatsachen muß es sich um Begebenheiten handeln, die für die getroffene Regelung rechtlich relevant sind. Es muß sich um Tatsachen handeln, die, wären sie bei Erlaß des ursprünglichen Verwaltungsaktes bekannt gewesen, die Behörde berechtigt hätten, den Verwaltungsakt nicht oder jedenfalls nicht so zu erlassen.
vgl. Kopp/Ramsauer, § 49, Rdnr. 43
Eine neue Tatsache im Sinne des § 49 Abs. 2 Nr. 3 HVwVfG liegt nicht nur vor, wenn sich maßgeblich Umstände geändert haben, sondern auch dann, wenn eine ursprünglich günstige Prognose wesentlicher tatsächlicher Voraussetzungen eines Verwaltungsaktes sich nachträglich als unzutreffend erweist. In den Fällen, in denen eine Prognose durch die allgemeine Entwicklung überholt wird, kann die Behörde den Verwaltungsakt wegen veränderter Verhältnisse gem. § 49 Abs. 2 Nr. 3 HVwVfG widerrufen.
Der Planfeststellungsbeschluß vom 23.03.1971 für den letzten Ausbau des Frankfurter Flughafens stellte fest, daß Gesundheitsschäden durch Fluglärm unter den im medizinischen Gutachten aufgestellten Voraussetzungen nicht zu erwarten sind und insgesamt gesehen sich durch den Ausbau des Flughafens eine Verbesserung der Lärmsituation insbesondere für die im Westen der Parallelbahnen liegenden besiedelten Gebiete (PFB 1971, Seite 10) ergeben. Inwieweit die tatsächliche Belastung durch den Flugbetrieb die 1971 prognostizierte Entwicklung des Frankfurter Flughafens weit übertroffen hat, ist im Sachverhalt dargelegt worden und ist im Wege der Amtsermittlung ergänzend aufzuklären. Da die damalige Einschätzung der Fluglärmbelastung und den zu erwartenden Gesundheitsbeeinträchtigungen durch die Planfeststellungsbehörde nicht mehr der heute realen Belastung entspricht, liegt ein Fall der Fehlprognose vor, die sich hier als nachträgliche Änderung der für den Erlaß des Planfeststellungsbeschluß relevanten Tatsachen darstellt, aufgrund derer die Planfeststellungsbehörde berechtigt wäre, den Planfeststellungsbeschluß jetzt mit weitergehenden Lärmschutzmaßnahmen zu versehen.
Nach § 49 Abs. 2 Nr. 3 HVwVfG ist weiter erforderlich, daß ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet ist. Dafür genügt es nicht, daß der Widerruf lediglich allgemein im öffentlichen Interesse liegt. Er muß vielmehr zur Abwehr einer Gefährdung des öffentlichen Interesses erforderlich sein, d.h. zur Beseitigung oder Verhinderung eines sonst unmittelbaren Schadens für den Staat, die Allgemeinheit oder für andere Gemeinschaftsgüter.
vgl. Kopp/Ramsauer, § 49, Rdnr. 48; BVerwG NVwZ 1992, 565
Notwendig ist insoweit eine durch den Bestand des Verwaltungsaktes gegebene konkrete Gefährdung, zu deren Beseitigung der Widerruf beitragen kann und erforderlich ist. Als Gefährdung des öffentlichen Interesses ist dabei auch eine konkrete und erhebliche Gefährdung grundrechtlich geschützter Rechtsgüter anzusehen. Aus dem objektiven Gehalt der von der Lärmimmission betroffenen Grundrechte (Art. 2 II 1 und 14 I GG) folgt nämlich die Pflicht der staatlichen Organe, sich schützend und fördernd vor die entsprechenden Rechtsgüter zu stellen und sie insbesondere vor Eingriffen von Seiten anderer zu bewahren.
BVerfGE 56, 54, 73
Dies gilt insbesondere, wenn aufgrund der veränderten tatsächlichen Verhältnisse die Ausnutzung einer erteilten Genehmigung die Grenzen einer Grundrechtsverletzung erreicht. Denn staatlichen Organen ist es aufgrund ihrer Schutzpflichten für die Wahrung der Grundrechte der Bürger untersagt, an der Fortsetzung grundrechtsverletzender Eingriffe auch nur duldend mitzuwirken.
vgl. zuletzt BVerwG NVwZ 1999, 539
Die in der Vergangenheit praktizierte Steigerung des Flugverkehrs und die dadurch bewirkte Steigerung des Fluglärms allgemein und besonders zur Nachtzeit führen bei den Antragstellern zu unzumutbaren Gesundheitsbeeinträchtigungen. Zudem wird die Nutzung ihres Eigentum am jeweiligen Hausgrundstück bzw. der Eigentumswohnung für die Funktion des Wohnens im Innen- und Außenbereich unter Überschreitung der Schwelle zum enteignungsgleichen Eingriff erheblich eingeschränkt.
a. Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) und freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) der Antragsteller ist durch die erreichte Lämbelastung als Folge des gesteigerten Flugverkehrs (die Zahl der durchschnittlichen Flugbewegungen am Flughafen Frankfurt hat sich seit 1987 von 830 auf 1275 im Jahr 1999 erhöht, was einer Steigerung von 54 % entspricht) und der niedrigeren Überflüge verletzt, ohne das dies verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist.
Nach der Gesundheitsdefinition der World Health Organization (Satzung v. 22.07.1946) ist Gesundheit "der Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht das Freisein von Krankheit und Gebrechen". Demnach ist der Mensch nicht erst krank, wenn sich Krankheitsbilder nachweisen lassen, sondern bereits dann, wenn nachhaltige Kommunikations- und Schlafstörungen durch Fluglärm auftreten.
Matschke, Stellungnahme, S. 1; Koch, aktuelle Probleme des Lärmschutzes, NVwZ 2000, 490 (491)
Fluglärmfolgen sind daher nicht nur wegen ihrer somatischen, sondern bereits wegen solcher psychischer und das soziale Wohlbefinden beeinträchtigender Auswirkungen zu bekämpfen, die über die Grenzen des sozial Adäquaten hinausgehen.
vgl. Leibholz/Rinck/Hesselberger, GG, Art. 2 Rz. 511
Als gesundheitliche Beeinträchtigung in diesem Sinne ist Fluglärm schon deswegen geeignet, weil er die Kommunikation im weitesten Sinne stört, den Erholungswert des Zuhauses herabsetzt, Konzentration und Aufmerksamkeit mindert, Nervosität und Irritiertheitsgefühle verursacht sowie Erschrecken, Verärgerung und Furchtassoziation auslöst.
vgl. BVerfGE 56, 74
Zumindest in Gestalt von Schlafstörungen sind die Einwirkungen auf die körperliche Gesundheit durch das Bundesverfassungsgericht anerkannt.
BVerfGE 56, 76
Dem nachfolgend geht das Oberverwaltungsgericht Lüneburg (Urteil v. 09.06.1997 zum Flughafen Hannover) davon aus, daß die Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit und allgemeinen Handlungsfreiheit tangiert sind, wenn Fluglärmbelastungen zu Gesundheitsbeeinträchtigungen und nachhaltigen Störungen des physischen und psychischen Wohlbefindens der Betroffenen führen können. Die Grundrechtsrelevanz von Fluglärm ergibt sich daher schon dann, wenn durch Fluglärm die Gesundheit der Anwohner beeinträchtigt wird, insbesondere bei hier gegebenen nächtlichen Schlafstörungen.
Der Verkehrslärm ist als schädigender Stressor und Mitursache für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erkannt worden.
vgl. C. Maschke, H. Ising, K. Hecht: Schlaf – Nächtlicher Verkehrslärm – Streß – Gesundheit: Grundlagen und aktuelle Forschungsergebnisse, Bundesgesundheitsblatt 1997, S. 86 (93)
Den Stand der medizinischen Forschung hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen in seinem Sondergutachten "Umwelt und Gesundheit" im Jahr 1999 zusammengefaßt; danach steigt bei einer Lärmbelastung mit einem Dauerschallpegel von tags mehr als 65 dB(A) das Herzinfarktrisiko signifikant an.
Sachverständigenrat für Umweltfragen, Umwelt und Gesundheit, Sondergutachten 1999, S. 297, Tz. 466
Dem Begriff der körperlichen Unversehrtheit in Art 2. Abs. 2 GG wird der weite Gesundheitsbegriff der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zugrundegelegt. Eine Beschränkung des Grundrechtsschutzes aus Art. 2 Abs. 2 GG allein auf solche Lärmbelastungen, deren schädliche Wirkungen ohne jeden Zweifel nachgewiesen werden können, wird der Bedeutung dieses Grundrechts, das ja auch ein Abwehrrecht gegen erst drohende Eingriffe ist, nicht gerecht. Zudem ist auch dieses Grundrecht verfassungskonform im Lichte des Art. 1 GG und der darin verbürgten Unantastbarkeit der Menschenwürde auszulegen.
Aber auch bei einem enger verstandenen Begriff der körperlichen Unversehrtheit liegen bei den Antragstellern relevante Gesundheitsbeeinträchtigungen durch den vom Frankfurter Flughafen ausgehenden Fluglärm vor. Zu Gesundheitsbeeinträchtigungen kommt es nach der Rechtsprechung des 11. Senats des Bundesverwaltungsgerichts bei Straßenverkehrslärm, wenn der Innenraumpegel am "Ohr des Schläfers" als Dauerschallpegel (Leq 3) einen Bereich zwischen 30 und 35 dB(A) innen überschreitet und Pegelspitzen über 40 dB(A) innen auftreten.
BVerwG Urteil vom 23.04.1997 - BVerwG 11 A 17.96; Urteil vom 12.04.2000 - BVerwG 11 A 18.98
Im Urteil v. 27.10.1998 (BVerwG 11 A 1.97) hat das Bundesverwaltungsgericht noch die von Planfeststellungsbehörden und der oberverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung für Fluglärm festgelegte Zumutbarkeitsgrenze von nachts mehr als ein sechsmaliges Überschreiten eines Maximalpegels von 75 dB(A)außen und 60 dB(A)innen nicht beanstandet (sog. Jansen-Kriterium). Im Urteil v. 29.01.1991 (NVwZ-RR 1991, 601) hat das Bundesverwaltungsgericht nach dem sogenannten Jansen-Kriterium eine Gesundheitsgefährdung verneint, soweit nicht mehr als sechs Lärmereignisse von mehr als 55 dB(A) innen je Nacht erfolgen. Die Aufweckschwelle wurde bei 60 dB(A) innen angenommen und sechs oder weniger Lärmereignisse oberhalb dieser Schwelle als noch zumutbar angesehen.
Diese Rechtsprechung wird vom Sondergutachten Umwelt und Gesundheit (Sondergutachten aaO., S. 297, Tz. 466) gestützt. Danach liegt die Aufweckschwelle bei Pegelspitzen von 60 dB(A)innen und Schlafstörungen treten bei Pegelspitzen über 45 dB(A)innen und Mittelungspegel über 35 dB(A)innen auf.
Vergleicht man diese Zumutbarkeitswerte mit denen zum Straßenverkehrslärm, so fällt auf, daß eine Gesundheitsbeeinträchtigung bei Straßenverkehrslärm bereits dann vorliegt, wenn der Innenraumpegel am "Ohr des Schläfers" Dauerschallpegel (Leq 3) in einem Bereich zwischen 30 und 35 dB(A) innen überschreitet und Pegelspitzen über 40 dB(A) innen auftreten.
BVerwG Urt. v. 23.04.1997 Az. 11 A 17.96; Urt. v. 12.04.2000 Az. 11 A 18.98
Demgegenüber soll bei Fluglärm erst dann eine Gesundheitsbeeinträchtigung vorliegen, wenn mehr als sechs Lärmereignisse von mehr als 55 dB(A) innen je Nacht eintreten. Diese unterschiedliche Behandlung priviligiert den Fluglärm gegenüber dem Straßenverkehrslärm ohne zureichenden Grund. Denn Fluglärm besitzt im Gegenteil eine im Vergleich zum Straßenverkehrslärm höhere Störwirkung.
In der Entscheidung zum Flughafen Erfurt geht das Bundesverwaltungsgericht unter Bezug auf die Studie von Maschke (Maschke/Arndt/Ising/Laude/Thierfelder/Contzen, Nachtfluglärmwirkungen auf Anwohner, Schriftenreihe des Vereins für Wasser-, Boden- und Lufthygiene 96, S. 1 – 140 <122>) davon aus, daß "nächtlicher Fluglärm auch unterhalb dieser oben genannten Grenzwerte gesundheitsgefährdend sein kann, wenn mindestens 16 Überflüge innerhalb der empfindlichsten Nachzeit zwischen 0.00 und 4.00 Uhr" erfolgen.
BVerwG Urteil vom 27.10.1998 – BVerwG 11 A 1/97 in: NVwZ 1999, 644, 647
Zum Zusammenhang von Streßhormonausscheidung und menschlicher Gesundheit bemerken Maschke/Ising/Hecht (Schlaf-nächtlicher Verkehrslärm-Streß-Gesundheit, Bundesgesundheitsbl. März 1997, S. 86 (94)), daß die Ergebnisse der experimentellen Studien einen Anstieg der individuellen Streßhormonausscheidung unter nächtlichem Lärm erkennen lassen. Zur Bewertung der Größenordnung wurden die Hormonausscheidungen auf absolute Ausscheidungsmengen im 24 Stunden-Zeitraum umgerechnet und den medizinischen Normbereichen gegenübergestellt. Das Verfahren ist auf Prof. Spreng zurückzuführen, der es im Rahmen eines Gutachtens
Spreng, M.: Verwaltungsrechtsstreit Flughafen Hahn, Gutachterliche Stellungnahme zur Frage 3a des Fragenkatalogs vom 31. 5. 1996, Erlangen 1996
anwandte. Die Berechnungen zeigen, daß die durch Nachtfluglärm erhöhten Adrenalinausschütten noch innerhalb des Normbereiches liegen. Völlig anders verhalten sich die Cortisolwerte. Die Cortisolwerte im Harn der untersuchten Flughafenanwohner lagen bereits ohne Nachtfluglärm leicht über der Norm und wiesen in den Nächten mit Fluglärmbelastung eine deutliche und hochsignifikante Steigerung auf, die im Vergleich zur Adrenalinausscheidung als gesundheitlich äußerst bedenklich angesehen werden muß. Diese massive Cortisolfreisetzung läßt den Rückschluß auf eine permanent erhöhte Konzentration des adrenocorticotropen Hormons (ACTH) im Blut zu, was eine Vielzahl von längerfristigen negativen Wirkungen nach sich zieht. Insbesondere ist ein Überspielen bzw. Bevormunden der fein abgestimmten peripheren Regulationsmechanismen und damit ein Fehlverhalten zu befürchten. Die Problematik erhöhter Cortisolkonzentrationen kann nach Spreng wie folgt zusammengefaßt werden:
- Hemmung des Glukose-Transportes und der Glukoseverwertung mit einer Erhöhung des Blutzuckerspiegels; Diabetogene Wirkung,
- verstärkter Abbau von Eiweißen, Förderung des Knochenabbaus und des Abbaus der Muskulatur; katabole Wirkung,
- Verringerung des Thymusgewebes und desjenigen der Lymphknoten; Hemmung von Immunprozessen,
- Absenkung der zirkulierenden eosinophilen und basophilen Leukozyten und der Lymphozyten; Immunsuppression,
- Steigerung der Empfindlichkeit von Adrenozeptoren und anderer vasokonstriktiver Substanzen; Hypertoniegefahr,
- Steigerung der Magensaftsekretion
- Magengeschwüre.
Spreng, M., Verwaltungsrechtsstreit Flughafen Hahn, Gutachterliche Stellungnahme zur Frage 3a des Fragenkataloges vom 31.5.1996, Erlangen 1996
Diese Ergebnisse bestätigen die schlafmedizinische Diagnostik über die Auswirkungen eines fragmentierten Schlafs. Nachtfluglärm ist danach als ausgesprochener Distreß zu bewerten, der das interne Milieu nachweislich verändert.
Die Gutachtergruppe um C. Maschke (a.a.O., S. 86 (95)) empfiehlt folgende Standards als Werte zur Abwehr von Gesundheitsgefahren:
"In der Zeit von 1.00 Uhr bis 6.00 Uhr sind Flugbewegungen grundsätzlich zu vermeiden. Sprechen schwerwiegende Gründe dagegen, dann muß auf einen nächtlichen Maximalpegel deutlich unter 55 dB(A) Bezug genommen werden.
Bei den nächtlichen Zumutbarkeitswerten für den Zeitraum von 22.00 Uhr bis 1.00 Uhr muß die Tatsache berücksichtigt werden, dass zwischen 1.00 Uhr und 6.00 Uhr Flugbewegungen zu vermeiden sind. Unter diesen Bedingungen kann die Zumutbarkeit für den Zeitraum von 22.00 Uhr bis 1.00 Uhr an den Aufwachreaktionen orientiert werden. Es ist demzufolge eine Begrenzung des Maximalpegels auf 55 dB(A) zu fordern. Gleichzeitig ist der äquivalente Dauerschallpegel auf Werte unter Laeq innen=36 dB(A) zu begrenzen. Dies entspricht einem Zumutbarkeitswert von ca. 32 dB(A) über eine Nachtzeit von 8 Stunden."
Nach Vorschlägen von Berglund und Lindvall für die World Health Organisation solle ein nächtlicher äquivalenter Dauerschallpegel innen von 30 dB (A) nicht überschritten werden, um Schlafstörungen zu vermeiden.
Berglund, B. Lindvall, T., Community Noise. Arch. Of the Center for Sensory Research, Volume 2. Stockholm University 1995
Vergleichbare Empfehlungen wurden auch vom interdisziplinären Arbeitskreis für Lärmwirkungsfragen beim Umweltbundesamt abgegeben.
Gutachterliche Stellungnahmen zu Lärmwirkungsbereichen <1982 bis 1990>, Umweltbundesamt 1990
Ein nächtlicher äquivalenter Dauerschallpegel von 30 dB (A) am Ohr des Schläfers und Pegelspitzen von 40 dB (A) sind nach Ansicht des Arbeitskreises geeignet, Schlafstörungen weitgehend zu vermeiden.
Wie stark Kinder, zu denen mehr als ¼ der Antragsteller zählen, durch Fluglärm belastet werden zeigt eine Studie von Prof. Bullinger zusammen mit Gary W. Evans aus Ithaca/New York und Staffan Hygge aus Gävle/Schweden.
Bullinger, M.: Die Münchener Fluglärmstudie: Ein Kurzbericht über die Studienergebnisse, Institut für Medizinische Psychologie, Maximilians-Universität München 1995; Hygge, S., Evans, G. W., and Bullinger, M.: The Munich Airport Noise Study: Psychological, Cognitive, Motivational, and Quality of Life Effects on Children. 6th International Congress on Noise as a Public Health Problem, Nizza 1993
Abgesehen von den Untersuchungen über Tieffluglärm, gab es bislang kaum Studien zur anhaltenden Fluglärmbelastung bei Kindern. Über einen Zeitraum von zwei Jahren hat die Forschergruppe mehrmals Grundschulkinder vor und nach der Verlagerung des Münchner Flughafens von Riem ins Erdinger Moos untersucht. Die Kinder stammten aus den Gebieten Riem beziehungsweise dem Erdinger Moos. Sie waren also entweder vor oder nach der Verlegung des Flughafens dem Fluglärm ausgesetzt. Zur Zeit der Untersuchungen betrugen die sogenannten äquivalenten Dauerschallpegel in den Flughafenbereichen 62 bis 68 Dezibel (A). Hierbei handelt es sich um die rechnerischen Mittelwerte. Bullinger zieht folgendes Resümee:
"Die Kinder, die seit mindestens zwei Jahren in der Nähe des Flughafens wohnten, wiesen gegenüber den Kindern des Kontrollgebietes eine im Mittel um 43% erhöhte Adrenalinausscheidung und eine um 45% erhöhte Noradrenalinausscheidung auf."
zit. aus Bullinger, M.: Die Münchener FluglärmStudie: Ein Kurzbericht über die Studienergebnisse, Institut für Medizinische Psychologie, Maximilians-Universität München 1995
Somit reagierten die etwa zehn Jahre alten Kinder mit einer erhöhten Ausschüttung der Streßhormone Adrenalin und Noradrenalin auf den Fluglärm.
Nach Eröffnung des neuen Flughafens stiegen diese Werte bei den Kindern im Erdinger Moos an, in Riem fielen sie ab. Auch der Blutdruck erhöhte sich. Beides ist Beweis für eine stärkere Streßbelastung durch Fluglärm.
"Psychological Science", Bd. 6, S. 333, und Bd. 9, S. 75
Kognitive Leistungen wurden anhand von Aufmerksamkeits- und Gedächtnistests geprüft. Dabei zeigten lärmbelastete Kinder zwar eine größere Fähigkeit, gesprochene Texte aus lautem Hintergrundgeräusch herauszufiltern. Vermindert waren aber die Lesegewandtheit, das Langzeitgedächtnis und - bei schweren Aufgaben - sogar das Arbeitsgedächtnis. Diese Kinder waren auch schneller frustriert. Das zeigte sich an der vergleichsweise geringen Ausdauer, mit der sie ein unlösbares Puzzlespiel zu lösen versuchten. Ein standardisierter Test ergab auch, daß sich die Kinder im Bereich des Flughafens stärker durch Lärm belästigt fühlen. Schließlich beurteilten diese Kinder ihre Lebensqualität eindeutig als geringer. Das war das Ergebnis eines Tests, mit dem die gesundheitsbezogene Lebensqualität von Kindern erfaßt werden kann. Wie die Studie zeigte, löst nicht die physikalisch meßbare Schallenergie die Beeinträchtigung aus, sondern die psychische Wirkung. Denn Lärm, der sich eigener Kontrolle entzieht und sich aus nicht vorhersehbaren, lauten Einzelereignissen zusammensetzt, wird vom Organismus als Weck- und Alarmsignal interpretiert. Dies löst psychischen Reaktionen aus, die gesundheitsbeeinträchtigend sind.
Ein vom Land Hessen am 24. März 2000 beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt der FAG in Auftrag gegebenes lärmphysikalisches Gutachten über die Belastung der Bevölkerung bei 400.000 Flugbewegungen (derzeitiger Stand) und zukünftig bei 500.000 Flugbewegungen sollte für den Frankfurter Flughafen ermitteln, ob der Nachtflugbetrieb des Flughafens mit mehr als sechs Schallereignissen zu einem Pegel von mehr als 75 dB(A) führt und damit unzumutbar ist. Die Beiziehung dieses Gutachtens sowie dessen Überprüfung durch das Landesamt für Umwelt und Geologie wird beantragt.
Das Umweltbundesamt hat im Jahr 2000 auf eine Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr des Deutschen Bundestages die Studie "Fluglärmwirkungen" vorgelegt. Darin wird eine Beurteilung des Fluglärms in Relation zu anderen Verkehslärmquellen vorgenommen. Die Studie kommt zu folgenden Empfehlungen:
Wirkung
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Leq(3) tags in dB(A)
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Leq(3) nachts in dB(A)
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Erhebliche Belästigung
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55
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45
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Gesundheitsbeeinträchtigungen präventivmedizinisch zu befürchten
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60
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50
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Gesundheitsbeeinträchtigungen (Herz-Kreislauferkrankungen) zu erwarten
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65
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55
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Für die in diesem Antrag insbesondere angesprochenen Nachtflüge empfehlen die Sachverständigen des Umweltbundesamtes, daß diese zur Abwehr einer Gesundheitsbeeinträchtigung einen Pegel von
Leq(3) 50 dB(A)
nicht überschreiten sollen.
Dieser Pegel wird in Flörsheim schon im Jahr 2000 in den vom Meßpunkt 2 charakterisierten Wohngebieten, noch mehr aber in den Wohngebieten der Antragsteller mit Wohnorten außerhalb von Flörsheim überschritten.
Das so als grundrechtlich erheblich bestimmte Maß überschreiten die auf den Hausgrundstücken der Antragsteller messbaren Schallereignisse der überfliegenden Luftfahrzeuge. Dies ergibt sich aus den Ergebnissen der Messungen und Berechnungen der Sachverständigen Kühner/ Knauß für die Wohngebiete in Flörsheim unter Berücksichtigung der Aussage der Meßergebnisse des Flughafenbetreibers, der für die Wohnorte der anderen Antragsteller noch lautere Nachtpegel dokumentiert hat.
b) Der Lärmabwehranspruch der Antragsteller ergibt sich materiell aus der hier gegebenen Verletzung ihrer Grundrechte auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) und freier Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) sowie aus der Verletzung des Grundrechts auf Eigentum (Art. 14 GG).
3. Gegen die hier geltendgemachten Ansprüchen vermag Gronefeld in seiner vom Hessischen Wirtschaftsministerium eingeholten Stellungnahme keine durchschlagenden Hinderungsgründe zu entwickeln.
Gronefeld, "Rechtlichen Stellungnahme über die Voraussetzungen und die Zulässigkeit der Anordnung eines Nachtflugverbotes nach Maßgabe der Empfehlungen der Mediationsgruppe für die Zukunft des Verkehrsflughafens Frankfurt am Main
Die Stellungnahme postuliert den Anspruch, alle Gründe und rechtlichen Anspruchsgrundlagen für ein Nachtflugverbot zugunsten des Frankfurter Flughafens zu prüfen. Den wichtigsten Grund und dessen Anspruchsgrundlage übersieht die Stellungnahme: Die beachtliche Zunahme des Nachtfluglärms als Folge einer Steigerung der nächtlichen Flugbewegungen allein seit 1998 bis zum Jahr 2000 um durchschnittlich 30 % und in der Spitze um 50 % überschreitet in ihren Folgen aktuell drei Grenzen, die den Hessischen Verkehrsminister zum Einschreiten gegenüber dem Flughafenbetreiber Fraport AG zwingen:
- Den Nachbargemeinden wird für Gebiete im Einwirkungsbereich der Fluglärmimmissionen durch Starts und Landungen die Möglichkeit genommen, neue Wohngebiete auszuweisen und bestehende Krankenhäuser, Altenheime und Kindergärten zu erweitern, ja die Nutzung dieses Bestandes wird erheblich eingeschränkt. Als Folge beeinträchtigt der Fluglärm das Verfassungsrecht der Anliegergemeinden auf kommunale Selbstverwaltung (Art. 28 GG) unzumutbar.
- Ein Schlafen mit gelegentlich geöffneten Fenstern und eine Kommunikation auf Terrassen und Balkonen ist den Anwohnern nicht nur in den hauptbetroffenen Wohngebieten in Offenbach, Raunheim, Flörsheim, Klein-Gerau und Weiterstadt, sondern auch in den entfernteren Wohngebieten als Folge des gesteigerten Fluglärms nicht mehr ohne erhebliche Störungen möglich. Dies bewirkt nach sachverständiger medizinischer Bewertung zumindestens Stressreaktionen aber auch Erhöhungen des Blutdrucks und Beeinträchtigungen des Stoffwechsels, die langfristig bei den Betroffenen zu einer Gefährdung ihrer Gesundheit führen werden. Diese haben daher gegenüber dem luftverkehrsrechtlichen Planfeststellungsbehörde einen Anspruch (Art. 2 GG) auf Abwehr dieser drohenden Grundrechtsverletzung.
- Zugleich bewirkt die Lärmsteigerung eine Schädigung des Grundrechts auf (Wohn-) Eigentum (Art. 14 GG); auch dies löst einen Abwehranspruch aus.
Obwohl Gronefeld die Nachtflugbewegungen von 1998 (95), 1999 (122) und 2000 (124 und in der Spitze 143) in seiner Stellungnahme referiert, lässt er eine Auseinandersetzung mit den damit gegebenen rechtliche Anspruchsgrundlagen zugunsten eines Teilwiderruf der bestehenden luftverkehrsrechtlichen Genehmigungen vermissen. Er ignoriert damit, daß der zuständige Fachminister seit Monaten und Jahren unter Verletzung seiner Schutzpflichten für die Grundrechte der Anwohner rechtswidrig nicht gegen die durch die Steigerung des Flugbetriebs und -lärms bewirkten Gesundheitsgefahren einschreitet.
Gronefeld referiert ausführlich die Gerichtsentscheidungen zum Münchener Flughafen "Franz Josef Strauß" und anderen deutschen Flughäfen. Dabei bleibt undiskutiert, ob diese Entscheidungen auf das Maß des Fluglärms im Rhein-Main-Gebiet anwendbar sind. Dagegen spricht, daß die Planfeststellungsbehörde für den Münchener Flughafen maximal 38 nächtliche Flugbewegungen als Obergrenze zugrunde gelegt hat; das sind nur 27 % der Flugbewegungen am Spitzentag des Jahres 2000 in Frankfurt. Immerhin ist dieses Münchner Maß für die Bayerische Luftverkehrsverwaltung, den Bundesverkehrsminister und für alle damit befaßte Gerichtsinstanzen, eine im Vergleich zur Frankfurter Regelung schärfere Einschränkung des Nachtflugbetriebs anzuordnen. Dies belegt, daß die im Rhein-Main-Gebiet zahlenmäßig größere Gruppe der Lärmbetroffenen nicht mit Entschädigungszahlungen oder einer bautechnisch häufig nicht realisierbaren Einkapselung ihrer Wohnräume befriedet werden können, sondern einen Anspruch auf eine objektive Prüfung von Restriktionen für den Betrieb des Frankfurter Flughafens unter Einschluß eines Nachtflugverbotes von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr haben.
III. Weiteres Verwaltungsverfahren
Ich beantrage, die hier zitierten Untersuchungen, soweit sie nicht anliegen, beizuziehen und die gegenwärtige Fluglärmbelastung der nicht in Flörsheim wohnenden Antragsteller im Auftrag der Planfeststellungsbehörde sachverständig ermitteln zu lassen; dabei sollten die Messungen und Berechnungen mindestens die Qualität der Studie von Kühner/ Knauß haben und die Ergebnisse auch nach dem in der Studie des Umweltbundesamtes empfohlenen Beurteilungsverfahrens darstellen.
Ich beantrage, mir Akteneinsicht in die Behördenakte zur Planung bzw. Planfeststellung des Flughafens Frankfurt am Main zu gewähren und mir diese Einsicht auch nach Beiziehung der Studien und dem Eingang dieser Ergebnisse der angeregten Amtsermittlung schrittweise wiederholt zu gewähren.
Ich erbitte ich nach einer grundlegenden Sachprüfungsphase von bis zum 31. Mai 2001 eine Entscheidung und schriftliche Mitteilung, ob die Planfeststellungsbehörde - abweichend von den bereits abgeschlossenen Antragsverfahren anderer Antragsteller mit ähnlichen Zielen – überhaupt in differenzierte Sachverhaltsermittlung eintreten will.
Denn andernfalls werden die Antragsteller angesichts der Schwere der ihnen zugemuteten Fluglärmbelastung, die ein weiteres Dulden ausschließt, umgehend den Klageweg beschreiten. Mit freundlichen Grüßen Möller-Meinecke Rechtsanwalt
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