Grundsätzliche Überlegungen von
Heinz Meier-Ebert (Dipl.-Ing.), Annkathrin Halank (RA),
Dr. Ralf Roth (Historiker), Hartmut Wagner (Notar u. RA)
Offenbach am Main, den 15. Januar 2002
Vorbemerkung
Neben einem Stakkato an Blendfeuerwerken wie für die Olympischen Sommerspiele 2012, für deren maximal vierwöchige Dauer natürlich der Flughafen ausgebaut werden müsse , steht im Zentrum der Begründung der wirtschaftliche Nutzen für die süd- und mittelhessische Region. Der Flughafen induziere Wirtschaftswachstum und damit Arbeitsplätze bis zu 250.000 am Ende des Prognosezeitraumes 2015. Dafür müßten die Umweltverwüstungen und der tägliche wie nächtliche Lärmterror von den Betroffenen eben hin genommen werden.1) Diese Argumentation ist ins Wanken geraten und damit die eigentliche Ausbaubegründung, an deren Stelle immer mehr Ersatzargumente wie die besagte Olympiabewerbung oder der Ausbau des Flughafens zu einem Einkaufszentrum treten.2)
1. Strukturprobleme der hessischen Wirtschaft
In der Tat verweisen die großen Hoffnungen, die hessische Politiker und Wirtschaftslobbyisten auf die Weiterentwicklung des Flughafens setzen, auf ein strukturelles Problem der hessischen Wirtschaft. Sie ist in vielerlei Hinsicht mehr Schein als Sein, lebt seit mindestens zwei Jahrzehnten von der Substanz und hat die großen Verluste im produktiven Bereich nicht hinreichend zu ersetzen vermocht. Erst brach in den achtziger Jahren die Metallindustrie weg. Zehntausende von qualifizierten Arbeitsplätzen gingen verloren und zum größten Teil konnten die dort beschäftigen Arbeitnehmer nie wieder in eine adäquate Stellung gelangen. Dann kam die Krise der Chemieindustrie allen sichtbar in der Umwandlung des Chemieriesen Hoechst in Aventis und der Wegzug seiner innovativen Teile. Zum Dritten bietet seit Jahren das einstige Vorzeigeunternehmen Opel nur noch ein Trauerspiel auf der Bühne und wie die echten Theater große finanzielle Verluste. Auch um die Zukunft des Banken- und Börsensektors ist es nicht zum besten bestellt. Die "global player" zieht es weg von dem provinziellen Frankfurt ohne jede politische oder kulturelle Bedeutung zur Weltmetropole London und wenn nicht London, könnte in ein paar Jahren die Hauptstadt Berlin mit ihrer zentralen politischen Lobby sowie ihrem regen kulturellen Leben Frankfurts Hochhäuser rasch verwaisen lassen.
Die bestenfalls stagnierende Entwicklung in diesen Bereichen sollte großflächig durch Arbeitsplätze im tertiären Sektor ersetzt werden. Es sind tatsächlich viele Arbeitsplätze in diesem Dienstleistungsbereich entstanden, doch nur wenige waren von Qualität und damit geldbringend. Dafür vermehrten sich oft besetzt von unausgebildeten Immigranten und deren Familien rasant unqualifizierte Hilfstätigkeiten, die entsprechend niedrig entlohnt werden. Die "Mitte" zwischen gutverdienenden Geschäftsleuten oder leitenden Angestellten und den Hilfstätigkeiten nachgehendem Personal ist erschreckend ausgedünnt worden. Qualitätsarbeitsplätze im produktiven Bereich waren in der Vergangenheit die Stärke dieser Region. Die dem entsprechende Struktur einer sozial austarierten Gesellschaft ist zum großen Teil verloren.
Die sozialen Folgen sind mittlerweile überall zu sehen und zu spüren. Trotz einer relativ niedrigen Arbeitslosenrate breitet sich allerorten Armut aus. Ganze Straßenzüge und Stadtteile gehen nieder, ja verslumen regelrecht. Das Phänomen ist keineswegs nur in Offenbach zu beobachten, sondern auch in dem "wohlhabenden" Frankfurt und vielen süd- und mittelhessischen Gemeinden. Die Ausbreitung der Armut verschärft die Integrationsprobleme der anhaltenden binnendeutschen und internationalen Zuwanderung in die Region. Hier wird sozialer und politischer Zündstoff aufgehäuft.
2. Der Flughafen verschärft die Strukturprobleme der hessischen Wirtschaft
In diesem Kontext wird sich der Ausbau des Flughafens verheerend auswirken, da er wie kein anderes Unternehmen der Region die problematischen Seiten der hessischen Wirtschafts- und Sozialstruktur widerspiegelt. Die ca. 60.000 Beschäftigten der angeblich "größten" Arbeitsstätte Deutschlands bestehen nämlich schätzungsweise zu drei Vierteln aus allereinfachsten Hilfstätigkeiten oder angelernten Tätigkeiten: Aus- und Einpacker, Entlader, Kofferheber, Nachtwächter, Bewacher, Kofferdurchleuchter, Personenkontrolleure, Sicherheitskräfte, Check-in-Personal mit zum Teil nur dreiwöchiger Ausbildungszeit, Reinigungspersonal, Saubermacher, Brötchenbeleger, Rollbahnfeger ... die das bewältigen, was bei einem Luftbahnhof eben anfällt: Menschen in die Flugzeuge helfen und Güter umheben. Viel Geld wird hier nicht verdient. Bemerkenswerterweise haben sowohl der Mediationsbericht als auch die Gutachten im Rahmen des ROV hierzu keinerlei brauchbare Zahlenangaben beigesteuert. Wo man ansonsten vorgibt, genau zu wissen, welche Unternehmen wieviele Arbeitsplätze in 15 Jahren schaffen werden, bleibt die Qualität der aktuellen im Dunkeln. Die Euphorie über die Goldeselfunktion des Flughafens soll nicht allzufrüh enttäuscht werden.
Fakt ist jedoch bereits jetzt, die Subunternehmer, die für die Lufthansa oder die Fraport AG tätig sind, stehen unter einem enormen Konkurrenzdruck. Der Auftrag hinsichtlich der bewirtschafteten Gewerke kann jederzeit entzogen werden und über allen steht allgegenwärtig die wirtschaftliche Übermacht der Lufthansa. Unter diesen Bedingungen versuchen sie einen größtmöglichen Gewinn herauszuschlagen. Gespart wird deshalb überall, insbesondere bei den Beschäftigten. Der Sicherheitsmitarbeiter auf dem Flughafen verdient rund DM 15,00 brutto in der Stunde (Euro 7,70), der Fluggastkontrolleur im Auftrag von Fluggesellschaften kommt auf rund DM 17,50 (Euro 8,95). Diese in ihrer Wichtigkeit so hoch eingeschätzten Mitarbeiter arbeiten für den Lohn einer Reinigungskraft und weit unterhalb der Durchschnittsverdienste der Sicherheitsmitarbeiter bei U- und S-Bahnen, die mit mindestens DM 21,00 (Euro10,74) brutto ein deutlich höheres Auskommen als auf dem Flughafen erzielen. Im Bereich der Luftfracht ist ein Stundenlohn in Höhe von DM 15,00 brutto (Euro 8,20) schon eine sehr gute Vergütung, wofür in einer zugigen und eiskalten Halle schwerste Lasten zum Teil per Hand befördert werden müssen. Ein Großteil der Mitarbeiter sind junge Männer, meist aus arabischen Ländern. Der Krankenstand liegt aufgrund der Arbeitsbedingungen regelmäßig bei rund 30 % und auch Arbeitsunfälle sind keine Seltenheit.
Der bestehende Flughafen trägt mit seiner Arbeitsplatzstruktur somit erheblich zu den bestehenden Strukturprobleme der hessischen Wirtschaft bei. Eine Ausweitung würde diese Probleme noch verschärfen. Das ist der erste Malus.
3. Der seltsame Wandel in der Anzahl zusätzlicher Billigarbeitsplätze
Selbst wenn dies außer acht gelassen und auf Ansprüche verzichtet wird, sondern die Devise gilt: Hauptsache ich bekomme einen Arbeitsplatz und sicher ist die aus den Armutsregionen der Welt zuströmende Bevölkerung bereit, für 5 Euro-Jobs einiges auf sich zu nehmen , selbst dann hören die Probleme mit der Arbeitswirklichkeit auf Deutschlands "größter" Arbeitsstätte nicht auf. Denn die berühmten Arbeitsplatzprognosen haben in der Zwischenzeit einen seltsame Werdegang durchlaufen. Man kann auch sagen: Das zentrale Argument für den Ausbau des Frankfurter Flughafens ist schlicht weggefallen. Die Arbeitsplatzprognose für den Frankfurter Flughafen wurde von Fraport im Rahmen des Raumordnungsverfahrens um 80 Prozent drastisch nach unten korrigiert. Während es nach der sogenannten Mediation hieß, dass der Ausbau die Entscheidung über bis zu 250.000 Arbeitsplätzen beträfe, spricht Fraport heute nur noch von 43.000 (!) Arbeitsplätzen. Dabei wird entgegen früheren Behauptungen festgestellt, daß von der Gefahr eines Absturzes ins Nichts oder zumindest auf das bedeutungslose Niveau von Hahn oder Egelsbach keine Rede mehr sein kann, denn auch ohne Ausbau soll es alleine auf dem Flughafen einen Jobzuwachs von ca. 14.000 Arbeitsplätzen bis 2015 geben. Angesichts dieser aktualisierten Zahlen und angesichts der völlig veränderten Rahmenbedingungen der Luftfahrt ab diesem Herbst ist somit eine Neubewertung der Ausbaupläne dringend erforderlich. Die Bevölkerung hat ein Anrecht auf den Mut zu einer einschneidenden politischen Kurskorrektur, und die Politik muß dazu auch fähig sein. Die Malaise geht weiter:
Erstens, nach dem Fraport-Gutachten zur Einkommens- und Beschäftigungsentwicklung hängen im Fall des Ausbaus bundesweit im Jahr 2015 ca. 220.000 und im Fall des Nichtausbaus über 175.000 Arbeitsplätze vom Flughafen ab. Der Prognoseunterschied beträgt nicht mehr 250.000 wie den hessischen Politikern noch vor einem Jahr vorgegaukelt , sondern nunmehr nur noch ein Fünftel oder in exakten Zahlen 43.406 Jobs.3) Dabei ist das aufgrund seines hohen Anteils von Einfachstarbeitsplätzen enorm hohe Rationalisierungspotential des Flughafens noch nicht berücksichtigt. Im Sommer kursierten z. B. Berichte über die Einführung von automatischen Check-in-Anlagen. Die Lufthansa warb sogar im Mai kurzzeitig dafür. Derartige Anlagen in größerem Umfang eingesetzt würden unzählige Arbeitsplätze ersetzen. Aus dem angeblichen Arbeitsplatzboom kann somit leicht ein Negativtrend werden.4)
Zweitens, Fraport selbst verzeichnete bereits in der Boomphase von 1999 bis 2000 einen Arbeitsplatzrückgang und ist somit auch keine Jobmaschine mehr: Von 1999 auf 2000 wurde bei steigenden Flugbewegungen und Passagierzahlen der Personalbestand sogar um 130 Mitarbeiter verkleinert. Der Trend soll sich laut Gutachten fortsetzen.
Drittens, muß eine vollständige Betrachtung der Arbeitsplatzprognose die Verdrängungseffekte durch den Ausbau berücksichtigen. Prominentestes Beispiel ist das Caltex-Gelände und die Chemiefabrik Ticona, wo die favorisierte Nordwestbahn die Entstehung von über 11.000 Arbeitsplätzen verhindern wird. Bedenkt man dabei die auch hier eintretenden sogenannten Multiplikatoreneffekte, so werden weit über 22.000 Arbeitsplätze durch den Ausbau nicht entstehen. Allein durch das Caltex-Problem würde somit die Hälfte des behaupteten Stellenzuwachses wieder aufgezehrt und noch bedauerlicher: Auf dem Caltex-Gelände stehen keine Billigarbeitsplätze wie auf dem Flughafen zur Disposition, sondern Qualitätsarbeitsplätze, wie sie die hessische Wirtschaft so dringend benötigt.
Viertens, mindestens ebenso wichtig wie die Prognose der absoluten Zahlen ist die Aussage über die erstaunlich rasch sinkenden Multiplikatoreneffekte. Hieß es zu Beginn der Ausbaudebatte noch, dass jeder Arbeitsplatz am Flughafen zwei weitere auslöse, so wurde die Annahme schon in der sogenannten Mediation auf 1,77 nach unten korrigiert. Ein Jahr später reduzieren die Gutachter nun erneut und nennen einen Faktor von 1,67. Dieser wird im Ausbau- wie im Nichtausbaufall weiter sinken und 2015 bundesweit nur noch 1,31 betragen. In Hessen sinkt der Multiplikator sogar unter eins auf 0,77 ab. Während die Belastung durch den Flughafen steigt, sinkt also seine Bedeutung für die Wirtschaft.
Fünftens, seit die Lufthansa in diesem Herbst reihenweise Flüge gestrichen hat und nun sogar über Stellenstreichungen und Kurzarbeit verhandelt, kann man die plötzlichen, aber umso dramatischeren Veränderungen der Luftfahrt auch aus der Ausbaudiskussion in Frankfurt nicht mehr verdrängen. Prognosen zum Luftverkehr, die vor diesem Herbst erstellt wurden, müssen korrigiert werden. Denn eins ist nach diesem Herbst klar: Fliegen wird teurer. Da als erstes von den Versicherern erkannt worden ist, dass in Zukunft weniger die Gefährdung der Passagiere durch ungewollte Abstürze zu Buche schlagen wird, sondern die Zerstörung von Werten am Boden durch gezielte Abstürze bis hin zu Superkatastrophen, werden die Rückversicherungsprämien drastisch ansteigen.5) Dazu kommt die konjunkturbedingte schwache Nachfrage nach Geschäftsflügen, steigende Auflagen durch die Umweltverwüstungen des Flugverkehrs usw. usf. Schon jetzt ist in der Verkehrsprognose von Fraport nachzulesen, dass die Flughäfen Berlin und München die Nachfrage befriedigen könnten. Ob die Nachfrage tatsächlich steigen wird, ist angesichts des wachsenden Kostendrucks bei den Fluggesellschaften und abnehmenden volkswirtschaftlichen Wachstumsraten mehr als fraglich. Denn noch eines zeigt dieser Herbst: Die Entwicklung der Luftfahrt folgt der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und kann diese eben nicht antreiben.6) Der Zahlensalat, den Fraport angerichtet hat und der Umstand, dass die Realität die Träume des vorigen Jahres vorfristig auf den Boden zurückgeholt hat, das ist der zweite Malus, der den Ausbauplänen anhaftet.
4. Ein riesenhaft überdimensionierter Infrastrukturknoten
Der dritte Malus besteht darin, daß der Flughafen nicht in erster Linie für die Wirtschaft Hessens von Bedeutung ist, sondern vor allem für die beiden Unternehmen Fraport und Lufthansa. Dabei ist als erstes festzuhalten, daß von den Gewinnen des Größeren in Form von Gewerbesteuerzahlungen nicht Hessen oder Frankfurt profitiert, sondern die Stadt Köln als Firmensitz der Lufthansa was die Stadt Köln um so mehr freut, da sie die Lasten nicht zu tragen braucht. Zum Zweiten ist zu bedenken: Der Flughafen ist ein riesenhaft überdimensionierter Infrastrukturknoten, für den die Dienstleistungsanforderungen aus dem hessischen Raum nur ein relativ bescheidener Bruchteil seines zu bewältigenden Verkehrsvolumens darstellt. Zum überwiegenden Teil hat die Verkehrskonzentration inmitten eines dicht besiedelten urbanen Raumes nicht das geringste mit der hessischen Wirtschaft zu tun. Das unterscheidet den Rhein-Main-Flughafen zu seinen Ungunsten von dem Münchener Flughafen, der aus der Region und für die Region wirkt. Der Moloch Rhein-Main zieht dagegen Verkehr auf sich, der zu ca. 50 Prozent aus reinem Umsteigeverkehr besteht. Umsteiger steigen per definitionem nicht zu, nicht aus, sie verlassen das Flughafengelände nicht einmal, um in Hessen zu konsumieren. Jedenfalls nicht in nennenswertem Umfang. Bestenfalls kaufen sie wie die Bahnreisenden am Bahnkiosk eine Kleinigkeit. Selbst wenn sie kräftig bei den teureren Artikeln in den Luxusgeschäften des Flughafens zulangen würden, ist es zweifelhaft, ob diese Geschäfte wegen ihrer vorwiegenden Zugehörigkeit zu internationalen oder ausländischen Ketten überhaupt in Hessen bzw. in Frankfurt gewerbesteuerpflichtig sind. Keiner käme auf die Idee, für den Vorteil eines Bahnhofskiosks oder einiger Luxusboutiquen neue Gleise zu legen und einen Bahnhof auszubauen. Was die Bahn allerdings mit Erfolg begonnen hat, ist ihre Großbahnhöfe nach dem Beispiel Leipzigs zu Einkaufszentren, sogenannten MIBs (Markt im Bahnhof), auszubauen (siehe Stuttgart, Köln, Hamburg, evtl. Frankfurt). Diese Bahnhöfe haben allerdings gegenüber dem Frankfurter Flughafen den unvergleichlichen Vorteil, daß sie im Zentrum der jeweiligen Stadt liegen und Tausenden von Pendlern, sprich S- und U-Bahn Benutzern die Möglichkeit zum Einkauf vor und nach der Bürozeit bieten und damit auch ein Stück urbanes Leben darstellen.
Die Situation auf dem Flughafen ist hiervon grundverschieden und deutlich von Nachteil für die hessische Wirtschaft. In der offiziellen Passagier-Statistik von Airport zählt jeder Umsteigepassagier doppelt, d.h. einmal für die Ankunft und einmal für den Abflug. Damit reduziert sich die für das Jahr 2015 prognostizierte Zahl von 81 Mio. Passagieren auf 60,75 Mio. tatsächliche Personen, die evtl. ihre Kaufkraft dem Frankfurter Flughafen zufließen lassen. Davon wären noch 40,5 Mio. Personen, die den aus der Region stammenden Originär-Verkehr darstellen, abzuziehen, denn es ist wohl kaum anzunehmen, daß sich der durchschnittliche vorwiegend nachts (wegen der besonders günstigen Flugpreise) fliegende Mallorca- oder Türkei-Urlauber aus Hattersheim, Frankfurt-Höchst oder Offenbach seine Freizeit- und Badegarderobe statt bei C&A ausgerechnet im Flughafenshop von Harrods, beschafft, einmal ganz davon abgesehen, daß der Flughafen wegen der deutschen Ladenschlussgesetze weit davon entfernt ist, in absehbarer Zeit ein 24 Stunden-Einkaufszentrum zu werden. Es verbleiben also nur ca. 20,25 Mio. Umsteigepassagiere, die evtl. ihre lt. Fraport "garantierte" selbst im internationalen Vergleich extrem kurze Umsteigezeit von 45 Minuten möglicherweise zu größeren Einkäufen nutzen könnten, wenn sie nicht gerade vom Terminal 1A (Lufthansa) zum Terminal 2 (z. B. Cathay Pacific) wechseln müssten, was garantiert nicht in der angegebenen Zeit möglich ist und erst recht nicht bei einem Wechsel zwischen Terminal 1 und dem geplanten Terminal 3 im Süden des Flughafens der Fall sein wird. Womit wir beim nächsten Problem der Fraport, nämlich der angeblich so wichtigen Hub-Funktion wären:
Hauptinteressent an einer Aufrechterhaltung bzw. einem Ausbau der Hub-Funktion ist zweifellos die Lufthansa, die mit der ausschließlichen Belegung des Terminals 1A und gegenwärtig noch teilweise auch 1B sich ideale Voraussetzungen für kurze Umsteigezeiten und damit auch den Weiterflug von Transitpassagieren mit ihren Maschinen geschaffen hat. Es ist erklärtermaßen das Ziel, nach der Inbetriebnahme des neuen Terminals 3 die komplette Sektion B des Terminals 1 der Lufthansa zuzuordnen und die Terminals 1C, 2 und 3 den Konkurrenten zu überlassen, die damit aufgrund der langen Wegezeiten automatisch im Nachteil wären, da sie kaum noch mit den von Fraport garantierten Umsteigezeiten werben könnten, weil nur wenige von ihnen überhaupt Anschlußflüge innerhalb Deutschlands oder Europas von Frankfurt aus anbieten können.
Der Trend der vergangenen Jahre zu Großraumjets (Jumbos) im Non-stop-Interkontinentalverkehr hat zu dem Zwang geführt, die für einen rentablen Betrieb erforderliche Anzahl von Passagieren im möglichst kostengerechten Klassen-Mix mit Hilfe der Hub-Funktion einiger weniger Großflughäfen zusammenzubringen. In Deutschland nimmt bisher ausschließlich Frankfurt diese Funktion wahr. Moderne Großraumjets vom Typ B 747-400 oder A 340 verfügen lt. Lufthansa-Darstellung in der Langstreckenversion über folgende Sitzkonfiguration, die je nach Einsatzroute und dem dazugehörigen Passagieraufkommen etwas variieren mag:
Typ First Class Business Economy
B 747-400 16 64 310
A 340 8 42 197
Für beide Flugzeugtypen beträgt der Anteil der vollzahlenden Passagiere (First + Business bei 100prozentiger Buchung) ca. 25 Prozent. Nun ist allgemein bekannt, daß der Großteil der Economy-Passagiere nicht zu normalen Economy-Preisen, sondern zu besonderen Saisonal- oder Last-Minute-Tarifen fliegt, die weit von einer Kostendeckung entfernt sind und nur dazu dienen, den Gewinn sicherzustellen bzw. zu maximieren, während die vollzahlenden First Class- und Business-Passagiere die Kostendeckung erbringen. Mit anderen Worten: Ein Viertel der Passagiere subventioniert durch die von ihnen bezahlten regulären Flugpreise (abgesehen von üblichen Firmenrabatten) die Kosten des Touristentransports in der sogenannten "Rucksackklasse". Wie sonst ist es zu erklären, daß namhafte Fluggesellschaften wie Lufthansa, British Airways, KLM, SAS usw. ihre verschlechterte Ertragslage und die Streichung von Flügen schon vor dem 11. September 2001 mit dem starken Rückgang von Buchungen in der First- und Business-Class infolge der weltweiten Konjunkturschwäche begründeten. Mit dem starken Rückgang der Touristenflüge nach den Terroranschlägen war damit die wahre Katastrophe für die meisten Airlines vorprogrammiert, weil nicht nur kein Gewinn, sondern auch keine Kostendeckung mehr zu erzielen war. Um einen Jumbo zu füllen, ist eine ganze Reihe von Zubringerflügen aus dem innerdeutschen und innereuropäischen Raum erforderlich. Damit verursacht jeder von Frankfurt aus startende interkontinentale-Direkt- oder Non-stop-Flug das mehrfache an Starts und Landungen durch die Zubringer. Und es kommt noch schlimmer: Lufthansa hat 15 Exemplare des neuen Super Airbus A 380 bestellt, die je nach Sitzkonfiguration bis ca. 700 Passagiere Non-stop über große Reichweiten transportieren können. Das bedeutet, daß allein, um die Auslastung dieser "Elefanten der Lüfte" zu garantieren, noch mehr Kurz- und Mittelstreckenflüge als Zubringer erforderlich sind. Damit erzeugt die Hub-Funktion des Frankfurter Flughafens, die auch von jedem anderen Flughafen übernommen werden könnte, zusätzlichen Luftverkehr und Passagierströme, die nichts zur wirtschaftlichen Entwicklung der Region beitragen, dafür jedoch die Lebensbedingungen der hier lebenden Menschen nachhaltig schädigen.
In diesem Zusammenhang sei auch das Projekt "Großflughafen Stendal" erwähnt, das in der Öffentlichkeit kaum bekannt ist und in der bisherigen Diskussion um die Hub-Funktion überhaupt keine Rolle gespielt hat.
Dabei verfügt dieser geplante Flughafen, für den das Raumordnungsverfahren bereits abgeschlossen ist, wegen seiner günstigen geografischen Lage an der ICE-Strecke Berlin-Hannover, dazu noch in dünn besiedeltem Gebiet, über ideale Voraussetzungen, die Funktion eines internationalen HUB-Flughafens und darüber hinaus eines Großflughafens für Berlin (25 Minuten Fahrzeit von Berlin/Lehrter Bahnhof bis zum Check-in am Flughafen). Dem Umsteigepassagier aus Saarbrücken, Athen oder Prag dürfte es ziemlich gleichgültig sein, wo er seinen Jumbo nach Tokio, Johannisburg oder San Francisco besteigt, für das Rhein-Main-Gebiet dürfte das aber eine wesentliche Entlastung vom Umsteigeverkehr bedeuten.
Die Fraport AG vermeldet mit Stolz, dass der Rückgang der Passagierzahlen für das Jahr 2001 nur 1,6 Prozent beträgt, verschweigt dabei aber schamhaft, dass ihre eigene Wachstumsprognose von einem durchschnittlichen Jahresplus von 5 Prozent ausgeht, d.h. das Jahresziel für 2001 nicht um 1,6 sondern um 6,6 Prozent verfehlt wurde.7) Dabei wird zugegeben, dass, bedingt durch Streckenstreichungen auf anderen Flughäfen mehr Umsteiger nach Frankfurt gebracht wurden und die Anzahl der Starts und Landungen teilweise die Rekordzahl von 98 Flugbewegungen pro Stunde erreichte. Gerade dieses Statement lässt doch wohl den Schluss zu, dass umgekehrt eine Verlagerung von Fern-Verbindungen von Frankfurt zu anderen Flughäfen durchaus eine Entlastung für Rhein-Main mit sich bringen würde. Es ist geradezu absurd, diese neueste Entwicklung, d. h. eine Zunahme der Umsteigerzahlen, zur Begründung der Ausbaupläne heranzuziehen.
Das Argument der Befürworter der Super-Jumbos, daß sich mit deren Einsatz die Gesamtzahl der Flüge reduziert, traf weder nach dem Bau der Startbahn West zu, noch wird es dieses Mal zutreffen. Auch das Argument, daß die in der Region ansässigen Unternehmen die Hub-Funktion benötigen, um ihre Mitarbeiter schnell in alle Teile der Welt schicken zu können, ist nur sehr bedingt richtig. Die Erfahrung aus der Vergangenheit zeigt: Den Entscheidungsträgern in der Wirtschaft ist es ziemlich "Wurscht", mit welcher Fluglinie der Mitarbeiter fliegt und wie oft und wo er umsteigt und wie lange seine Reise dauert, wenn nur der in wirtschaftlichen Krisenzeiten enger gezogene Kostenrahmen eingehalten wird und die am Jahresende gewährten Rabatte der Fluggesellschaften stimmen.
In diesem Zusammenhang sollte man sich auch immer wieder die Dimension des geplanten dritten Terminals ins Gedächtnis rufen. Die Kapazität soll im Endausbau für 25 Mio. Passagiere ausreichen, was der augenblicklichen Kapazität des gesamten Münchner Flughafens entspricht. Und die Lufthansa scheint der angeblich so rosigen Zukunft von Rhein-Main selbst nicht zu trauen, denn sie engagiert sich unter erheblicher finanzieller Beteiligung an dem Bau des Münchner Terminals 2 mit der erklärten Absicht, München zum ihrem zweiten Hub-Flughafen in Deutschland zu machen.
5. Was wir benötigen: statt weitere Belastungen der Region qualitatives Wirtschaftswachstum
Der Frankfurter Flughafen ist in seinen größten Teilen somit ein riesiger aufgeblasener Ochsenfrosch. Wie dieser enthält der Lufthafen viel warme Luft ohne jeden Belang für die hessische Wirtschaft. Er ist in weiten Teilen ein sich selbst genügender Verkehrswirbel, der von fern Verkehr anzieht und ihn wieder in die Ferne entläßt. Seine wesentlichen Funktionen können an vielen Standorten in Deutschland bewältigt werden. Die Belange der hessischen Wirtschaft würden auch von einem um ein Vielfaches kleinerer Flughafen befriedigt werden. Ja, ein derartig zurückgebauter Flughafen könnte den Interessen der hessischen Wirtschaft sogar in vielerlei Hinsicht viel besser entsprechen, bringt der Flughafen für die hessische Wirtschaft doch weniger zusätzliche wirtschaftliche Impulse, als große Mengen von Lasten und diese verspricht er in noch größeren Mengen für die Zukunft. Mit einem kleineren Flughafen wären die immensen Lärmlasten in der Region um ein Vielfaches geringer. Es gäbe mehr attraktive Standorte für die Ansiedlung von Unternehmen mit qualifizierten Arbeitsplätzen, für Know-how-Schmieden und Produktentwickler, die das 21. Jahrhundert benötigt.
Man muß es noch einmal betonen: Die Lasten des Flughafens sind nicht einfach "Beeinträchtigungen" oder "Belästigungen", wie es immer noch vielfach geschrieben steht, ausgehend von Flugzeugen, die angeblich auf Rhein-Main "einschweben" oder so einfach "abheben". "Schweben" tut Staub in der Sonne, abgehoben wird ein Stück Kuchen von der Kuchenplatte. Beides geschieht lautlos. Vom Flughafen hingegen geht ein flächendeckender Lärmterror aus, der seit langem für die Betroffenen an die Substanz geht. Er betrifft nicht ein paar Hundert, nicht ein paar Tausend, sondern drei bis vier Millionen Menschen. Hunderttausende wachen Nacht für Nacht auf, werden um viele Stunden ihres Schlafes beraubt. Der Schaden für ihre "Wirtschaft", für ihr Leistungsvermögen, für ihre Lebensqualität geht in die Milliarden.8) Leider müssen weder Fraport noch die Lufthansa, weder die Ausbaubefürworter aus der Wirtschaft noch aus der Politik dafür gerade stehen sonst wäre der Ausbau-Spuk inclusive der viele, viele Millionen von Mark verschlingenden Lobby-Arbeit von Deutschlands größtem Flughafenbetreiber rasch ein Ende bereitet.
Also nicht für die hessische Wirtschaft und nicht für die hessischen Arbeitnehmer soll der Flughafen ausgebaut werden, sondern für die Gewinnerwartungen von 2 in Worten zwei Unternehmen, wovon das eine es sei noch einmal gesagt Steuern an die Stadt Köln zahlt, und für das ganz persönliche Portefeuille zweier Vorstandsvorsitzenden, die das ganze Flughafenprojekt hochgezogen haben. Wie die Schafe ziehen ihrer "Vision" 99 Prozent der hessischen Politiker hinterher. Auch dies ist ein Zeichen, dass es um Hessens Wirtschaft nicht zum besten bestellt ist.
Anmerkungen
1) Das gilt selbstverständlich auch in Zukunft in der Nacht. Das sogenannte Nachtflugverbot immer noch umstritten erstreckt sich nur auf die "Mediationsnacht" (Jakubeit), die von 23 Uhr bis 5 Uhr reicht. Es gab Zeiten, da begann die Nacht mit dem Hereinbrechen der Dunkelheit. Auf jeden Fall wird in allen deutschen Gesetzen und Verordnungen die Nacht als die Zeit zwischen 22 und 6 Uhr definiert.
2) Man brauche eine zusätzliche Landebahn, damit noch mehr Leute einkaufen gehen könnten, ist die Krönung des Ausbauenthusiasmus.
3) Dabei ist unberücksichtigt geblieben, daß das Gutachten zu den Beschäftigungseffekten allein auf einer Befragung von knapp über 100 Firmen auf dem Flughafengelände beruht, darunter natürlich Fraport und Lufthansa. So wird in besonderer Weise versucht, Wunschdenken in Realität zu verwandeln. Und schließlich wurden auch keine Realitäten abgefragt, wenn die entscheidende Frage lautete: wieviele Arbeitsplätze erwarten Sie im Jahre 2015 bei einem Ausbau einer- und bei einem Nichtausbau unter Verlust der Hub-Funktion andererseits. Daß bei einem Nichtausbau die Hub-Funktion nicht entfällt, sondern höchstens vermindert wird, bestreitet niemand. Die Frage nach der Zahl der Arbeitsplätze ist nur Lesen im Kaffeesatz.
4) Vgl. Ein kurzer Augen-Blick vor Antritt der Flugreise genügt Ohne Pass, ohne Ticket: Die Iris als Merkmal zur Indentifizierung, in: FAZ v. 21. Juli 2000. Die Werbung der Lufthansa befand sich z. B. in der FAZ v. 31. Mai 2001, u. Eye-dentification. Airport to test recognition technology, in: Guardian weekly v. 9. August 2001.
5) Vgl. das Interview mit Walter Kielholz, dem Vorstandsvorsitzenden von Swiss Re. "Die Zeit der großen Wolkenkratzer ist vorbei", in: FAZ v. 14. Dezember 2001.
6) Die Zahl von 250.000 Arbeitsplätzen findet sich in der Pressemitteilung zum Abschluss der sogenannten Mediation und im sogenannten Mediationsbericht. Die im Raumordnungsverfahren "aktualisierten Zahlen" können der Tabelle im Aktenordner 8, Gutachten 4.3, Einleitung Seite 16 (vor den eigentlichen Gutachten) der von Fraport beim Regierungspräsidenten eingereichten und nunmehr offengelegten Unterlagen entnehmen.
7) Vgl. FAZ und Offenbach-Post v. 12. Januar 2002.
8) Vgl. der in seiner Eindeutigkeit nichts zu wünschen übriglassende Beitrag von Martin Kaltenbach, Wo es laut ist, steigt der Blutdruck und sinkt die Leistungsfähigkeit Krach schädigt nicht nur das Gehör, sondern kann auch zum Herzinfarkt und Schlaganfall führen, in: FR vom 3. Januar 2002. Kaltenbach weist unmißverständlich darauf hin, daß es insbesondere die Kinder sind, die auf den Fluglärm mit Konzentrations- und Leistungsschwäche reagieren. Die Ergebnisse von Langzeituntersuchungen bei der Verlegung des Münchener Flughafens aus der Stadtregion sind eindeutig.
|