Sensationelles Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Straßburg!
Application no. 36022/97 by Ruth HATTON and Others against the United Kingdom
The European Court of Human Rights (Third Section), Klage zugelassen am 16. Mai 2000
Entscheidung am 3.Oktober 2001
Urteil bestätigt Menschenrecht auf ungestörte Nachtruhe
Heathrow muß nach Klage von 8 Londoner Bürgern Nachtflüge einstellen
Urteil hat auch Bedeutung für den Flughafen Frankfurt - Mediationsergebnis damit vollkommen entwertet
Wir brauchen keine Alt-Herren-Runden, noch weniger als Mediatoren getarnte Fraport-Lobbyisten - alles was wir brauchen, ist eine beherzte Hausfrau und Mutter wie Ruth Hatton.
Daß es sie auch in Offenbach gibt, hat die Aktion "Wir setzen ein unübersehbares Zeichen im August gezeigt
Jeder kann jetzt sein Recht auf ungestörte Nachtruhe einklagen - Fluglärmbeschwerden werden gerichtsrelevant
Die Presse berichtet:
FAZ v. 10.10.2001
Stang macht den Flughafen zur Chefsache
lat. HOFHEIM
Bürgermeisterin Gisela Stang (SPD) hat den Vorsitz der Arbeitsgruppe "Flughafenausbau" übernommen und damit das Eintreten der Stadt Hofheim gegen den Flughafenausbau "zur Chefsache" erklärt.
In einer Mitteilung hebt die Bürgermeisterin hervor, die geänderten Flugrouten, das Raumordnungsverfahren zur geplanten Erweiterung und die Zusammenarbeit mit den Initiativen und Bürgern erhielten nun oberste Priorität. Mit einer Informationsveranstaltung am 22. Oktober (19.30 Uhr, Stadthalle) mit dem Titel "Raumordnungsverfahren Flughafen" sollen zunächst die Bürger über den aktuellen Stand informiert werden.
Stang hob hervor, daß die Chancen für eine rechtliche Neubewertung von Fluglärm nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg besser geworden seien. Dort hatten Anwohner des Londoner Flughafens Heathrow wegen nächtlicher Flüge geklagt und von den Richtern Schadensersatz- zugesprochen bekommen.
Die Hofheimer Arbeitsgruppe werde sich deshalb schnell mit der neuen Situation auseinandersetzen. Im Rathaus werden Stang zufolge zudem in Kürze InfoMaterialen der Bürgerinitiative gegen den Flughafenausbau ausgelegt.
FAZ v. 10.10.2001
Offenbacher SPD fordert rasches Nachtflugverbot
hho. OFFENBACH.
Die SPD-Fraktion im Offenbacher Rathaus will sich für das schnelle Verbot für Nachtflüge am Flughafen in Frankfurt einsetzen. Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs solle sich der hessische Wirtschaftsminister Dieter Posch (FDP) von seinen Lärmkontingenten und der Einteilung der Flugzeuge in Lärmklassen verabschieden, heißt es in einer Mitteilung des SPD-Fraktionschefs Horst Schneider. Der Sozialdemokrat hob hervor, daß die Kläger in London gegen nur 15 Nachtflüge erfolgreich vor dem Gerichtshof geklagt hatten. Von einer derart niedrigen Zahl an Flügen könnten die Bewohner des Rhein-Main-Gebiets nur träumen. Das Urteil habe die Diskussion um die Lärmbelastung auf eine neue Stufe gehoben. Er warte nun auf die Erklärungsversuche der Landesregierung und des Flughafenbetreibers, führte Schneider aus.
FR v. 9.10.2001
Offenbach SPD: Nachtruhe ist Menschenrecht
Die Stadtverordnetenfraktion der SPD sieht sich durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EGH) in Straßburg in ihrem Beharren auf die sofortige Durchsetzung eines Nachtflugverbotes für den Frankfurter Flughafen bestärkt. Der EGH hatte kürzlich der Klage von acht Anwohnern des Londoner Flughafens Heathrow stattgegeben, die gegen 15 Flüge in der Nacht vor Gericht gezogen waren.
Von einer solchen Zahl an Nachtflügen können die Bewohner im Rhein-Main-Gebiet nur träumen, wenn sie nicht gerade von den mit wie vielen Lärmpunkten auch immer bewerteten Flugzeugen aus dem Schlaf gerissen werden", sagt Fraktionschef Horst Schneider. Es sei deutlich zu erkennen, dass Verkehrsminister Dieter Posch (FDP) mit seinem "Nachtflugsteigerungsprogramm", das offiziell Lärmkontingent heiße, den falschen Weg eingeschlagen habe.
Der SPD-Politiker fordert Posch auf, jetzt ein Nachtflugverbot ohne Wenn und Aber durchzusetzen. Dann hätte dieses unselige Hickhack um Lärmkontingente, Sommer- und Winterflugplan und Flugzeugtypen ein Ende." Das Allerwichtigste sei aber, dass die Bewohner der Stadt Offenbach und der Rhein-Main-Region endlich wüssten, dass ihre Interessen ernst genommen würden und nicht ständig hinter wirtschaftlichen Überlegungen zurücktreten müssten.
Schneider räumt ein, dass das Straßburger Urteil nicht in allen Punkten auf die Situation des Frankfurter Flughafens angewendet werden könne. Aber die Aussage, dass es ein Menschenrecht auf ungestörten Schlaf gebe, sei immens wichtig. Auch würde die Strategie der Stadt Offenbach, sie hat mittlerweile vier Klagen gegen den Airport laufen, damit bestätigt.
Unterdessen unterstützt die Offenbacher PDS die jetzt von dem Aktionsbündnis Offenbach gegen Flughafenausbau« initiierte Unterschriftenaktion für unabhängige Lärmmessungen. Einige Nachbarstädte haben bereits mit eigenen Messungen bewiesen, dass die Fraport-Aufzeichnungen lückenhaft, ungenau und beschönigend sind", sagt der Kreisvorsitzende der PDS, Raimund Bieker. Wer korrektes, aussagefähiges Datenmaterial sammeln wolle, der müsse selbst Hand anlegen. Dies werde mit dem jetzt anlaufenden Raumordnungsverfahren immer dringender um Einsprüche und Klagen unterstützen zu können.
Die PDS, sie gehört zur Opposition im Stadtparlament, fordert die Stadt Offenbach auf, unverzüglich eigene Lärm-Messungen in Auftrag zu geben. tek
FAZ v. 9.10.2001
Gedächtnisstörungen und verminderte Leistungsbereitschaft
Rhein-Main-Institut fordert niedrigere Fluglärm-Grenzwerte / Wissenschaftler informieren über gesundheitliche Folgen
hho. DREIEICH.
Das in Dreieich ansässige Rhein-Main-Institut (RMI) hat sich in den vergangenen Jahren mehrfach kritisch zum Ausbau des Frankfurter Flughafens zu Wort gemeldet und vor allem auf die Risiken durch die Lärmbelastung hingewiesen. Bestärkt sieht sich das Institut durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg, mit dem die Richter einer Klage von Anwohnern des Londoner Flughafens Heathrow gegen Nachtflüge stattgegeben haben. Das Urteil sei "sehr begrüßenswert", urteilte gestern RMI-Vorstandsmitglied Martin Kaltenbach. Demnach müsse das "UmweItgift Lärm" künftig mehr beachtet werden.
Kaltenbach war rund 20 Jahre lang Leiter der Kardiologie an der Universitätsklinik in n Frankfurt.Hinter dem Institut steht ferner Martin Führ, Professor für öffentliches Recht und Dekan für, Sozial- und Kulturwissenschaften an der Darmstädter Fachhochschule, sowie Friedrich Theißen, Professor für Wirtschaftswissenschaften in Chemnitz. Laut Kaltenbach ist erwiesen, daß Lärm die Entwicklung der Kinder beeinträchtigt. Bei einer Untersuchung in der Nähe des neuen Münchner Flughafens hätten Lärmforscher bei Kindern Gedächtnisstörungen und eine verminderte Leistungsbereitschaft festgestellt. Laute Maschinen erzeugen ihm zufolge daher "Null-Bock-Kinder".
Gehörschäden drohen
Lärmwirkungsforscher sind nach Worten des Mediziners unisono der Meinung, daß die vorhandenen Grenzwerte überholt seien und nach unten korrigiert werden müßten. Schon bei einem Wert von mehr als 30 Dezibel etwa schütte der Körper im Schlaf zusätzliche Hormone aus, was wiederum die Erholung und das Wohlbefinden störe, führte Kaltenbach aus. Lärm verursache zudem eine Reihe von körperlichen Krankheiten wie Gehörschäden, hohen Blutdruck und könne bis zum Herzinfarkt führen. Nach Meinung des Instituts sollen die Grenzwerte für den Dauerschallpegel in d er Nacht auf 45 dB(A) und auf 55 dB(A) während des Tags reduziert werden. Auch müßten sogenannte Einzelschallereignisse stärker gewichtet werden. In der geplanten Novelle des Fluglärmgesetzes soll nach dem Willen der Bundesregierung nachts ein Grenzwert von 55 dB (A) und tagsüber von 67 dB (A) gelten.
An die Öffentlichkeit tritt das RheinMain , Institut wieder am Freitag, 19 Uhr, im Saal des Bürgerhauses Dreieich-Buchschlag. Dort werden Wissenschaftler ihre Thesen zu der Frage vortragen, Welche Lärmbelastungen den Bürgern zugemutet werden dürfen.
Anschauliche Darstellung
Wie Kaltenbach weiter sagte, will die RMI komplizierte Materien wie die Berechnung der Lärmwerte anschaulich und auch für Laien verständlich machen. Mit diesem Wissen könnten die Bürger sachkundiger argumentieren. Erster Referent des Informationsabends wird der Privatdozent Christian Maschke vom RobertKoch-Institut in Berlin sein, der den Stand der Lärmwirkungsforschung vorstellen will. Im Anschluß daran wird der Sinnesphysiologe Rainer Hartmann von der Frankfurter Universität über international geltende Grenzwerte informieren. Beendet wird die, Veranstaltung mit einer Debatte über die Schlußfolgerungen aus den Befunden.
FAZ v. 8.10.2001
"Posch muß aus Urteil Konsequenzen ziehen"
wöb. KREIS GROSS-GERAU.
Nach Meinung der Grünen im Groß-Gerauer Kreistag wird das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (F.A.Z. vom Freitag) zum Schutz von Anwohnern vor nächtlichem Fluglärm sich auf alle großen Flughäfen auswirken. Der Richterspruch zum britischen Flughafen London-Heathrow bemesse dem Recht auf ungestörte Nachruhe eine größere Bedeutung zu als nationalen Wirtschaftsinteressen, weshalb Rechtsexperten nun ein baldiges Nachtflugverbot für London erwarteten. Da die Bürger der Rhein-Main-Region dasselbe Recht auf Schlaf hätten, sei ein, komplettes Nachtflugverbot für den Frankfurter Flughafen zwingend notwendig.
Die Kreistagsfraktion der Grünen sehe nun die hessische Landesregierung und Verkehrsminister Dieter' Posch (FDP) in der Pflicht, aus dem Urteil Kon-' sequenzen für Frankfurt zu ziehen. Die von Posch vorgesehene Einführung von Lärmkontingenten sei ein Schritt in die falsche Richtung. Die von der Landesregierung vorgesehenen Lärmkonten führten zu mehr nächtlichen Starts und Landungen und böten keinen Anreiz, leisere Flugverfahren anzuwenden.
OP vom 5.10.2001
Nach dem Urteil: SPD will Nachtf lüge verbieten
Offenbach (alk)
Als Konsequenz aus dem jüngsten Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte fordert die Offenbacher SPD ein sofortiges Nachtflugverbot. für den Frankfurter Flughafen.
Wie berichtet hatten die Straßburger Richter Anwohnern Recht gegeben, die gegen zunehmenden nächtlichen Flugverkehr auf London-Heathrow geklagt hatten.
"Durch. dieses Urteil wird die Diskussion auf eine neue Stufe gehoben", meint SPD-Fraktionschef Horst Schneider. "Es gibt ein Menschenrecht auf Nachtruhe. In London haben acht Kläger. gegen 15 Nachtflüge erfolgreich geklagt. Von einer solchen Zahl von Nachtflügen träumen die Bewohner der Rhein-Main-Region, wenn sie von mit wie viel Lärmpunkten auch immer bewerteten Flugzeugen aus dem Schlaf gerissen werden."
FR vom 5.10.2001
"Fluglärm unvereinbar mit Recht auf Nachtruhe"
Europäischer Gerichtshof gibt Klage aus London statt
Von Hans-Jürgen Biedermann
Die Fluglärmgegner im Rhein-Main-Gebiet spüren Rückenwind aus Straßburg. Dort hat der Europäische Gerichtshof festgestellt, nächtlicher Fluglärm sei unvereinbar mit dem Recht auf ungestörten Schlaf. Kurt Oeser, Vorsitzender der Bundesvereinigung gegen Fluglärm, sprach von einer "außerordentlich wichtigen Entscheidung".
Der Gerichtshof für Menschenrechte gab einer Klage von Anwohnem des Londoner Flughafens Heathrow statt, die unter nächtlichem Fluglärm leiden. Zwischen 23 und 6 Uhr hätten Anrainer ein Recht auf guten Schlaf". Die Fluglärmgegner hier zu Lande fordern seit langem ein Start- und Landeverbot zwischen 22 und 6 Uhr. In der Flughafen-Mediation hat man sich auf einen Zeitraum von 23 bis 5 Uhr geeinigt. Kurt Oeser geht davon aus, dass die Straßburger Entscheidung in den Entwurf für ein Fluglärmgesetz einfließen wird, den die Bundesregierung gerade vorbereitet.
Der Spruch des Gerichts gibt der Diskussion um den Ausbau des Frankfurter Flughafens eine neue Qualität, kommentierte der Vorstandssprecher des hessischen Bunds für Umwelt und Naturschutz (BUND), Walter Raiss. In den bereits anhängigen Lärmklagen vor dem Verwaltungsgericht "werden sich die Kläger darauf beziehen«, erwartet der Vorstandssprecher. Aus dem hessischen Verkehrsministerium ließ Sprecher Thomas Ufer verlauten, aus dem Urteil lasse sich "kein unmittelbarer Entscheidungszwang für Frankfurt ableiten". Man warte auf die Begründung des Straßburger Hofes.
Der Kreis Groß-Gerau nimmt den Richterspruch zum Anlass, "ein sofortiges, Nachtflugverbot, und den "Verzicht" auf den Ausbau von Rhein-Main zu fordern. Die Stadt Flörsheim will auf Grund der aktuellen Rechtslage gegen die von Verkehrsminister Dieter Posch geplante Lärmkontingentierung klagen. "Ein komplettes Nachtflugverbot ist jetzt zwingend notwendig, erklärte Ursula Hammann für die Landtagsfraktion der Grünen. In London-Heathrow gehe es lediglich um 15 Nachtflüge, in Frankfurt um ein Vielfaches.
Reiner Geulen, Anwalt der Stadt Offenbach, reichte am Donnerstag prompt eine Klage beim Verwaltungsgerichtshof Hessen (VGH) ein. Ziel sei, eine restriktive Praxis auch bei Nachflügen am Frankfurter Flughafen durchzusetzen. Aus dem Straßburger Urteil folge, dass die für kommendes Jahr vorgesehene Erhöhung der Nachtflugfrequenzen auf Rhein-Main sofort zurück genommen werden muss".
Flughafenbetreiber Fraport wollte das Urteil nicht bewerten. Sprecher Wolfgang Schwalm meinte aber, die Situation in London sei nicht ganz vergleichbar". Im Ballungsraum Rhein-Main habe man schon eine Reihe von Schutzmaßnahmen gegen Fluglärm realisiert. Überdies solle mit der Inbetriebnahme einer vierten Bahn für sechs Stunden ein absolutes Nachtflugverbot verfügt werden.
FR vom 5.10.2001
Menschenrecht
Von Hans-Jürgen Biedermann
Der Kampf für ein Nachtflugverbot auf Rhein-Main hat Unterstützung von einer europäischen Instanz bekommen. Die Entscheidungen des Gerichtshofs für Menschenrechte haben zwar keine unmittelbare rechtliche Konsequenz, aber eine moralische Wirkung. Deshalb müssen die EU-Länder das Urteil ernst nehmen, wonach die Bürger in der Gemeinschaft ein Recht auf Nachtruhe haben. Die Fluglärmgegner wissen das schon länger und fühlen sich durch den Richterspruch bestätigt.
Das Urteil wird unterschiedlich interpretiert. Einerseits fordern politische Gremien den Rhein-Main-Flughafen nächtens sofort dichtzumachen. Andererseits sieht man im Wiesbadener Verkehrsministerium keinen unmittelbaren Handlungsbedarf. Doch Minister Dieter Posch sollte schleunigst darüber nachdenken, ob sein Plan für eine Lärmkontingentierung - tatsächlich würde damit die Zahl der nächtlichen Flugbewegungen steigen - vor dem Hintergrund der Straßburger Entscheidung noch realisiert werden kann. Sein Vorschlag ist ohnehin heftig kritisiert und als Rückschritt in der Lärmdiskussion bezeichnet worden. Posch könnte sich jetzt ohne politischen Gesichtsverlust davon verabschieden.
Das Urteil des für Menschenrechte zuständigen Gerichts am Sitz des Europäischen Parlamentes stellt aber in jedem Falle klar: Falls der Frankfurter Flughafen um eine vierte Bahn erweitert wird, ob im Nordwesten oder im Süden, kann eine Genehmigung nur erteilt werden, wenn sie ein absolutes Nachtflugverbot beinhaltet., Die Mediation hat sich auf die Zeit zwischen 23 und 5 Uhr verständigt. Das ist der kleinste gemeinsame Nenner, den man in der Runde finden konnte. Darüber sollte wenigstens bei den Politikern Konsens herrschen.
Das Gericht hat die Sperrzeit bis 6 Uhr morgens ausgedehnt. Und eigentlich sollte sie im Interesse der Wohnqualität im Rhein-Main-Gebiet um 22 Uhr begingen.
FAZ vom 5.10.2001
Auftrieb für Ausbaugegner nach Urteil gegen Nachtflüge in London
Europäischer Gerichtshof gibt Klägern Recht / Anrainerkommunen: Auswirkungen auf Frankfurt / Fraport prüft noch
ale. FRANKFURT
Ein Urteil, mit dem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg am Dienstag einer Klage von Anwohnern des Londoner Flughafens Heathrow gegen Nachtflüge stattgegeben hat, hat auch den Gegnern des Flughafenausbaus in Frankfurt Auftrieb gegeben. Bernhard Brehl (SPD), Bürgermeister von Mörfelden-Walldorf, sprach von einem "Durchbruch für das Nachtflugverbot" im Rhein-Main-Gebiet. Das hessische Verkehrsministerium und der Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport AG hielten sich dagegen mit Einschätzungen zurück, welche Konsequenzen das Straßburger Urteil für den geplanten Ausbau haben könnte. Zunächst müßten die juristischen Details geklärt werden, hieß es.
Der Europäische Gerichtshof hatte entschieden, daß die wachsende Zahl der Befreiungen vom Nachtflugverbot in Heathrow gegen Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoße, wonach das Privatleben besonderen Schutz genieße. Flüge zwischen 23.30 und 6 Uhr verletzten das Menschenrecht auf ungestörten Schlaf. Den Klägern wurde jeweils eine Entschädigung in Höhe von umgerechnet rund 12 400 Mark zugesprochen. Die britischen Behörden müssen innerhalb von 18 Monaten die Nachtflugfrequenz ändern.
Offenbach, Mörfelden-Walldorf und der Landkreis Groß-Gerau forderten die Fraport AG und das Land Hessen gestern übereinstimmend auf, die Zahl der Nachtflüge zu reduzieren und auf eine Erhöhung der Nachtflugfrequenz sowie auf den Ausbau des Flughafens zu verzichten. Nach dem Urteil sei die von der hessischen Landesregierung beschlossene Erhöhung der Nachtflugfrequenz rechtswidrig und musse sofort zurückgenommen werden, hieß es in einer Mitteilung des Anwalts der Stadt Offenbach, Reiner Geulen. Zwar folge aus dem Urteil kein absolutes Nachtflugverbot, doch sei der Frankfurter Flughafen besonders vom Straßburger Richterspruch betroffen, weil er in einem dichtbesiedelten Wohngebiet liege. Auch die in dem von der Bundesregierung geplanten "Fluglärmgesetz" vorgesehenen Grenzwerte für nächtlichen Fluglärm seien nicht mehr haltbar.
Die Fraktion der Grünen im Hessischen Landtag sah sich durch das Urteil in ihrer Forderung nach einem absoluten Nachtflugverbot bestätigt. Ursula Hamann, umweltpolitische Sprecherin der Fraktion, kritisierte abermals die im September eingerichteten "Lärmkonten", die zu einer Steigerung der nächtlichen Flugbewegungen führten.
Thomas Uber, Sprecher des hessischen Verkehrsministeriums, äußerte auf Anfrage, daß nach einer ersten Durchsicht des Urteils "kein unmittelbarer Handlungsbedarf" für den Frankfurter Flughafen bestehe. Wolfgang Schwalm, Sprecher der Fraport AG, sagte, der Rechtsabteilung des Unternehmens liege der Text des Urteils noch nicht vor. Daher sei noch keine Analyse möglich. Beispielsweise sei unklar, auf welcher rechtlichen Grundlage die Betriebsgenehmigung in Heathrow beruhe und ob sich das Urteil auf Frankfurt übertragen lasse.
Schwalm hob hervor, daß die Fraport AG und die Landesregierung schon viel unternommen hätten, um die Lärmbelastung zu reduzieren.* Er verwies auf die Lärmkontingentierung, das Schallschutzprogramm und das Nachtflugverbot, das nach dem Ausbau verhängt werden solle.
Kommentar: Wenn reduziert worden wäre, hätte es eigentlich leiser werden müssen. Es ist in den letzten 20 Jahren jedoch beständig lauter geworden - insbesondere in Offenbach am Main.
FAZ vom 5.10.2001
"Durchbruch für Nachtflugverbot auf Rhein-Main"
Brehl und Siehr: Urteil des Europäischen Gerichtshofs bestätigt Recht auf ungestörten Schlaf
wöb. KREIS GROSSGERAU.
Die Kritiker eines Ausbaus des Frankfurter Flughafens und Befürworter eines sofortigen Nachtflugverbots haben durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Auftrieb bekommen.
Das Gericht hatte am Dienstag die geplante Erweiterung des Airports London-Heathrow und insbesondere die damit einhergehende zusätzliche Belastung durch nächtliche Flüge auf Antrag von Ausbaugegnern zunächst verhindert. Zwischen 23.30 und 6 Uhr sei den Anwohnern der Stadt der erhöhte Lärmpegel nicht zuzumuten. In der britischen Hauptstadt wird nun die Einführung eines totalen Nachtflugverbots für möglich gehalten (F.A.Z. von gestern).
In dem Richterspruch sieht Bernhard Brehl (SPD), Bürgermeister von Mörfelden-Walldorf, einen Durchbruch für ein Nachtflugverbot auf Rhein-Main". Wenn nach Einschätzung des Straßburger Gerichts schon 15 nächtliche Starts und Landungen das "Menschenrecht auf ungestörten Schlaf" verletzten, geIte dies bei bis zu 150 nächtlichen Flügen in der Region erst recht. Brehl fordert die hessische Landesregierung, die Bundesregierung, den Flughafenbetreiber Fraport AG und die Lufthansa auf, unverzüglich ein Nachtflugverbot auf Rhein-Main einzuleiten.
Zugleich müßten das aus dem Jahr 1971 stammende, "völlig veraltete" Fluglärmgesetz und die "Janssen-Kriterien" für die Berechnungen des Lärm überarbeitet werden. Hessens Verkehrsminister Dieter Posch (FDP) fordert Brehl auf, die erst vor wenigen Tagen neu formulierte Betriebsgenehmigung für den Frankfurter Flughafen zurückzuziehen. Sie sieht unter anderem Lärmkontingente für nächtliche Flüge vor.
Konsequenzen seien auch im Regionalen Dialogforum notwendig: Es müsse auf der nächsten Sitzung am 2. November endlich seinen "hinhaltenden Widerstand" gegen ein Nachtflugverbot aufgeben und Tacheles reden". Aus Sicht des Bürgermeisters ist mit dem Urteil die Zeit "politischer Deklarationen ohne tatsächliche Wirkung" abgelaufen. Das Argument, ein Nachtflugverbot in Frankfurt führe zum Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen europäischen Flughäfen, sei hinfällig.
Auch Landrat Enno Siehr (SPD) hat das Urteil "erfreut" aufgenommen. Es sei richtungweisend, weil es dem "Menschenrecht auf Nachtruhe eindeutig Vorrang vor den wirtschaftlichen Interessen eines Unternehmens" einräume. Die Argumentation des Gerichts entspreche sehr genau der des Kreises; hebt Siehr hervor, der von, einem "moralischen und politischen Sieg" für die vom Fluglärm geplagten Menschen spricht.
Die Folgen für das laufende Verfahren zum Ausbau des Frankfurter Flughafens seien zwar noch nicht abzuschätzen; die Zahl der Nachtflüge in Frankfurt liege jedoch deutlich über der, um die in London gestritten wurde. Als Konsequenz fordert Siehr ein sofortiges Nachtflugverbot auf Rhein-Main und den Verzicht auf eine Erweiterung des Flughafens in Frankfurt.,
Wie Brehl sieht auch Siehr "endlich" gleiche Bedingungen für alle europäischen Flughäfen. Drohungen mit Flugverlagerungen ins Ausland seien bisher schon wenig überzeugend gewesen. Nun entbehrten sie jeder Grundlage. Der Landrat fordert die Fraport AG zum Umdenken auf: Der Flughafenbetreiber solle jetzt gemeinsam mit der Region darüber nachdenken, wie der Flughafen so entwickelt werden könne, daß in seiner Umgebung ein "gedeihliches Leben und Arbeiten auf Dauer" möglich bleibe.
FR vom 4.10.2001
Urteil hat Folgen für alle großen Flughäfen Europas
Lärm-Gegner siegen vor Gerichtshof für Menschenrechte
Von Peter Nonnenmacher
Weit reichende Folgen für alle größeren Flughäfen Europas könnte ein Straßburger Gerichtsurteil haben, das jetzt das Recht auf ungestörten Schlaf vor das Recht auf nächtliche Flüge setzte: Acht britische Bürger, die am Londoner Flughafen Heathrow wohnen, haben mit einem Sieg vor dem Gerichtshof für Menschenrechte die eigene Regierung zu einer Korrektur der Nachtflug-Praxis gezwungen.
LONDON, 3. Oktober.
Die Entscheidung des Gerichts bescheinigt der britischen Regierung, das Menschenrecht der Bürger auf Nachtruhe missachtet zu haben. Sie habe versäumt, eine faire Balance zwischen der wirtschaftlichen Wohlfahrt des Vereinigten Königreichs und dem effektiven Recht der Kläger auf Respekt für ihre Wohnhäuser, ihre Privatsphäre und ihr Familienleben herzustellen". Das Gericht sprach den Klägern Schadenersatz und die Erstattung von Rechtskosten, im Wert von 240 000 Mark zu.
Das Urteil legt die Regierung zwar nicht auf bestimmte Maßnahmen fest, zwingt sie aber zu einer generellen Neubewertung der Nachtflug-Praxis in Heathrow und wohl auch über Heathrow hinaus. Bisher waren im Zeitraum zwischen 23.30 Uhr und 6 Uhr früh 15 Flüge nach Heathrow erlaubt. Die Flughäfen Manchester (durchschnittlich 28 Flüge), Stansted (30 Flüge) und Gatwick (40 Flüge) hegen sogar noch wesentlich höher.
"Vorübergehend" will nun, wie es am Mittwoch hieß, das Verkehrsministerium die Flüge beibehalten, bis eine ministerielle Entscheidung getroffen ist". Die erfolgreichen Kläger rechnen aber mit einem Ende des Lärms über ihren Dächern in 12 bis 18 Monaten". Nach diesem Gerichtsurteil habe die Regierung praktisch keine Alternative, als auf Nachtflüge im Raum Heathrow zu verzichten. Das Urteil belege, dass es keine vorrangigen nationalen Wirtschaftsinteressen" gebe.
Das Urteil hat nicht nur für Großbritannien Folgen. Mit größtem Interesse haben Anti-Fluglärm-Gruppen überall in Europa den Testfall Heathrow verfolgt und dessen Ausgang bejubelt. Da Heathrow noch mit die striktesten Nachtflug-Bedingungen habe, müssten sich Flughäfen anderswo jetzt auf entsprechenden Druck einstellen, glaubt der Londoner Rechtsexperte Paul Bowden: "Jeder andere Flughafen, jede Behörde und jede Regierung in Europa muss auf dieses Urteil reagieren."
Bei den britischen Flughäfen und Fluggesellschaften, die mit erheblichen finanziellen Schwierigkeiten ringen, löste das Urteil Verwirrung aus. Bei British Airways und dem Flughafen-Betreiber BAA sackten die Aktienwerte ab. Ein BA-Spreeher beteuerte, die Nachtflüge seien entscheidend für unsere Operationen und für die britische Wirtschaft". Man versuche ja eh schon, die Störungen so gut es geht auf einem Minimum zu halten".
Die Anti-Fluglärm-Lobby will dagegen sicherstellen, dass die in ihrer Nachtruhe gestörten Londoner schätzungsweise 350000 Menschen - nach dem historischen Urteil" nun auch wirklich Ruhe bekommen.
FAZ vom 4.10.2001
BA fürchtet Nachtflugverbot in London
Juristischer Sieg für Umweltschützer / Erweiterung von Heathrow
ufe. LONDON, 3. Oktober.
Für British Airways und die privat geführte British Airport Authority (BAA) zeichnen sich Schwierigkeiten bei der geplanten Erweiterung des Flughafens London-Heathrow ab. Denn nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom Dienstag können der britische Flughafenbetreiber und Europas größte Fluggesellschaft die Zahl der Nachtflüge auf dem wichtigsten Drehkreuz in Europa zunächst nicht erhöhen. Nach Auffassung der Richter sei die erhöhte Lärmbelästigung aus der Luft, zumal in einer Zeit zwischen 23.30 Uhr und 6 Uhr, den Bewohnern der Stadt nicht zuzumuten. Die Juristen bestätigten damit die Argumentation von acht Einwohnern Londons. Diese hatten im Mai vergangenen Jahres bei der Instanz in Straßburg gegen die zuständige britische Verkehrsbehörde geklagt, um "ihr Menschenrecht auf ungestörte Nachtruhe" einzufordern.
Eine große Geräuschkulisse gehört in London zwar. zum Alltag. Doch der Lärmpegel über der Hauptstadt stieg in jüngster Zeit besonders kräftig. Dabei führt Heathrow mit bislang 65 Millionen Passagieren pro Jahr nicht nur die Rangliste der zehn größten Flughäfen in Europa an. Die Heimatbasis von British Airways (BA) wird auch von praktisch allen internationalen Fluggesellschaften am meisten frequentiert: Jets aus aller Welt nehmen im Schnitt alle 60 Sekunden direkt Kurs auf Heathrow oder die vier weiteren Flughäfen in und um London. Vor dem Hintergrund knapper Kapazitäten sind daher schon seit Jahren in Heathrow der Neubau eines fünften Abfertigungsterminals und eine gleichzeitige Erhöhung der Nachtflüge im Gespräch (F.A.Z. vom 10. August). An diesen Prognosen hat sich auch nach den drastischen Geschäftseinbrüchen in der Luftfahrtindustrie nichts verändert. "Das ist ein kurz- bis mittelfristiger Effekt. Wir kalkulieren auf lange Sicht mit stark steigendem Passagieraufkommen", heißt es bei BAA in London.
Die damit verbundene Gefahr einer erhöhten Lärmbelästigung rief schon vor Monaten viele Londoner auf den Plan. Bürgerinitiativen mit zur Zeit etwa 25 000 Mitgliedern, gegründet von Anwohnern in den unter den wichtigsten Einflugschneisen befindlichen, südlichen und westlichen Stadtteilen Londons, versuchten die Baugenehmigungen für den geplanten Terminal 5 zu verhindern und setzen sich zudem bei den zuständigen Behörden für ein striktes Nachtflugverbot ein.
Nachdem die Richter aus Straßburg das britische Transportministerium in die Schranken verwiesen haben, fühlen sich die Widerständler aus der Region ermutigt: "Das führt in Kürze zu einem totalen Nachtflug-Verbot über London", frohlockt John Stewart, Gründer und Chairman von Hacan Clear Skies, der einflußreichsten Bürgerinitiative Londons. Ähnliche Befürchtungen haben offenbar auch Anleger und Analysten in der Londoner City. Sie schickten die Aktie von BAA auf Talfahrt: Der Kurs des 1987 privatisierten Betreibers von insgesamt sieben britischen Flughäfen ging am Dienstag zeitweise um bis zu 6 Prozent zurück, tun sich dann am Mittwoch bei etwa 490 Pence einzupendeln. Einbußen in ähnlichem Umfang registrierte BA. Die Aktie der führenden britischen Fluggesellschaft, wegen des durch die Terroranschläge ausgelösten Geschäftseinbruchs in den Vereinigten Staaten seit Wochen unter Druck, gab nach dem Urteil aus Straßburg erneut um mehr als 5 Prozent nach.
|